: Vorhersehbar voyeuristisch
Nur die Special Effects, nicht die Story überzeugen: Paul Verhoevens Sci-Fi-Thriller „The Hollow Man“
von BRIGITTE WERNEBURG
Auch Paul Verhoevens neuer Film endet mit der üblichen Explosion. Was wäre auch anderes zu erwarten? Mit T. S. Eliot, der befürchtete, das Ende komme nicht mit dem berühmten großen Knall, sondern mit einem Wimmern, hat es Hollywood eben nicht so sehr. Selbst dann nicht, wenn der Titel seiner letzten Blockbuster-Aspiration dem Dichter schlicht geklaut scheint; der nannte seine Version vom Ende des amerikanischen Traums einst „The Hollow Men“.
Doch ein T.-S.-Eliot-Ende, ein leises Ende ohne Feuersbrunst, wäre das erschreckendere, weil endlich einmal andere Ende. Und von dem Regisseur, den artforum erst kürzlich als Genie und größten „mass-market auteur“ hypte, sollte man ein etwas anderes Kino erwarten dürfen. Eines, das all die bekannten Errungenschaften des Genres in Ehren hält und seinen Rahmen doch – nun ja – sprengt; das einen peniblen Detailrealismus mit einem filmischen Delirium voller schöner und grausamer Halluzinationen verbindet. So etwas hat Paul Verhoeven schon gekonnt, in „RoboCop“ (1987), „Total Recall“ (1990) und zuletzt in „Starship Troopers“ (1997).
Aber vielleicht sollte man gar nicht mehr über Kino, sondern über Computerspiele sprechen. Ihr jährlicher Umsatz liegt inzwischen dreifach über dem der Filmindustrie. Auch Verhoevens 200 Millionen Mark teurer „Starship Troopers“, der an der Kinokasse ein Flop war, konnte wenig später zu einem der erfolgreichsten Computerspiele entwickelt werden. Für sie liefern Filme heute eben den Plot; so wie sich an der Spielkonsole schon „Lara Croft“ als der wirkliche „Jäger des verlorenen Schatzes“ herausstellte. Weil aber die Grafik dann doch nicht so doll ist und das Spiel simple Regeln braucht, wird die Kinovorlage schwer abgespeckt, das Filmische restlos beseitigt, und nur die krudesten Details bleiben übrig.
So weit okay – wäre da nicht die böse Ahnung, dass der Spin-off inzwischen nicht mehr das Computerspiel, sondern der Film ist, dem das Spiel jetzt wiederum die Vorgabe liefert. Nur so lässt sich die grobe Machart von „The Hollow Man“ erklären. Nach seinen Sternenschifferfahrungen muss Verhoeven gleich an die Playstation und leicht durchschaubare Spielzüge gedacht haben, bei denen der Joker Dr. Sebastian Caine (Kevin Bacon) ist, einer jener mad scientists, die das Pentagon mit Vorliebe anzuheuern scheint, wenn es wieder einmal eine ganz besondere Waffe entwickeln möchte. Die sensationelle Entwicklung des Dr. Caine macht nun Lebewesen unsichtbar und löst sie aus der Quantensynchronität mit dem sichtbaren Raum heraus.
Nun kennt man den Fall, dass mörderische Menschen, sofern sie nicht erwischt werden und womöglich weiter töten wollen, gut daran tun, sich absolut unauffällig durch den Alltag zu bewegen (wie der gerade im Kino gestartete „Minus Man“). Was aber ist bei einem unsichtbaren Menschen der Fall? Macht Unauffindbarkeit mörderisch? Verhoeven behauptet: ja, und das hat er, wie er sagt, bei Platon gelesen. Im zweiten Buch des „Staats“ stellt Glaukon die These auf, die Tugendhaftigkeit selbst des Gerechten sei einzig eine Frage des Erwischtwerdens. Wer weiß, dass er mit allem durchkommen wird, kennt keine moralischen Wertmaßstäbe mehr. Mit dieser Annahme lässt sich was machen. Die Sokratiker bei Platon jedenfalls erörtern in acht weiteren Büchern sorgfältig das Für und Wider der These. Sebastian Caine aber, der seine Unsichtbarkeitstherapie nach dem Tier- im Eigenversuch erprobt, ist bei Verhoeven leider schon von vornherein ein Spanner, Betrüger und übler Bastard. Wer bereits als sichtbarer Mensch unmoralisch handelt und wie Caine seine Kollegen und seinen Auftraggeber täuscht, der wird als unsichtbarer kaum besser handeln, das überrascht nun wirklich niemanden.
Mit Platon ist es bei Verhoeven also nicht so weit her. Dafür ist das Morphing perfekt. Wie das Forscherteam um Dr. Caine der Luft eine Flüssigkeit injiziert, die tatsächlich irgendwohin verschwindet, um schließlich im Blutkreislauf eines Tieres aufzutauchen, das nun Schicht für Schicht, Skelett, Organe, Muskulatur und Haut, als riesiger Gorilla in den sichtbaren Raum zurückkehrt: Diese sensationelle Szene lohnt es vielleicht doch, den sehr vorhersehbaren Fortgang des Films, die erstaunlich platten Dialoge, das superschicke Design und die kalten Slasherszenen in Kauf zu nehmen; das ganze dumme, aber technisch hoch aufgerüstete „Fang mich, sonst töte ich dich“-Spiel, das schließlich in der obligaten Explosion endet. In der immer die Guten überleben und die Bösen sterben. Auch bei Verhoeven.
„The Hollow Man“. Regie: Paul Verhoeven. Mit Kevin Bacon, Elisabeth Shue, Josh Brolin u. a., USA 2000, 114 Min.
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