■ Vorgespult: Rohe Tonträgeroper
„Deutsche Krieger“, Sonntag, 20.05 Uhr, Radio Brandenburg
„Kameraden!“ röchelt eine hohe Männerstimme. Dann nochmal: „Kameraaaaden!“ Es ist Wilhelm Zwo, der letzte Kaiser live. Er bemüht sich – ungeschickt berlinernd – um dramatische Rhetorik. Faselt von Feind, Verrat, und heil'gem Krieg. Er will beschwörend klingen und wirkt heute doch eher komisch. Wie es der Holzklotz trotzdem schaffte, Millionen Deutsche für den Ersten Weltkrieg zu begeistern, stellen die Macher der Hörspiel-Trilogie sinnlich nach. Andreas Ammer und FM Einheit stürzen uns 66 Minuten lang ins tosende Wellenmeer der jeweiligen Zeitgeistatmosphäre. Auftritt: Alexander Moissi, damals ein Superstar der Schauspielszene. Er spricht – im Gegenschnitt zum Kaiser – Heines „Belsazar“, wird so zum verführenden Sprachrohr des Monarchen. Und steht wohl auch schon Pate für den nächsten Demagogen... Verbunden wird das O-Ton-Material mit einer heißen Rhythmik aus diskret verformten Tönen: Kugelzischen, Glockenläuten, mythische Stimmung. Und wenn es im „Kaiser Wilhelm Overdrive“ (I) noch unverständlich rauscht, in „Adolf Hitler Enterprise“ (II) ist alles messerscharf zu hören – auch wenn später eine piepst: „Ich habe nichts gewußt.“ Das radiophone Netz ist nun zur großkotzigen Schlinge geknüpft: „Der Rundfunk gehört uns, wem sonst?“ Folgerichtig brüllt Hitler sich im Volksempfänger heiser, röhrt es per Ringschaltung von allen Fronten – „Stihille Nacht“ – heim ins Reich. Dazwischen auch fremde Töne aus dem Wellenkrieg: „Tatata-ta“, das leise pochende Erkennungszeichen der BBC etwa. Das Anfangsmotiv von Beethovens Neunter leitet über zu „Ulrike Meinhof Paradise“ (III).
Entwaffnend klar und konsequent erklärt die Meinhof ihre Utopie. Auch in diesem Teil der Trilogie spielt der Sound der Zeit die heimliche Hauptrolle: Synthesizer tragen die Sätze der RAF- Leute, Helmut Schmidts und Volkes Stimme. Doch wer die wirkliche Meinhof war – Romantikerin, Opfer, Demagogin, Kriminelle (wie Wilhelm II. und Hitler)? – wird nicht eigentlich entschieden. Wie auch. Der „Stoff“ ist noch zu roh und unbeackert.Gaby Hartel
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