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Archiv-Artikel

Vorbild: Belgrads Studenten

Nach dem Sturz Schewardnadses tritt eine neue Generation von Politikern an. Studentische Aktivisten und engagierte Bürger betrachten sie mit vorsichtigem Wohlwollen, trauen ihnen aber auf Dauer nicht

„Wenn Saakaschwili mit uns Spielchen treibt, dann zeigen wir ihm, wem er die Macht zu verdanken hat“

TIFLIS taz ■ Georgiens Bürger seien inzwischen reif genug, politische Interessen öffentlich selbst zu vertreten, meint Nodar Ladarian. Ob die Reife indessen reiche, um aus dem Sieg über das alte Regime Eduard Schewardnadses auf Dauer etwas Haltbares und Neues zu schaffen? Da ist der Redakteur von „24 Stunden“, der meistgelesenen Zeitung in Tiflis, noch skeptisch. Ladarian ist nicht allein politischer Beobachter, er soll Leser an einen kritischen Umgang mit dem gedruckten Wort heranführen. „Den Lesern das Lesen zu vermitteln und ewige Wahrheiten zu demontieren“ sei die Aufgabe, für die der in Italien ausgebildete Semiotiker extra eingestellt worden sei. Im Kaukasus sei das einmalig, meint Ladarian, der inzwischen eine recht bekannte Lokalgröße geworden ist.

Die Amerikaner hätten zwar hinter den Kulissen die Fäden gezogen, sagt Ladarian, ohne den Einsatz der Bürgergesellschaft wäre der Sturz Schewardnadses aber nicht denkbar gewesen. Neben dem Wechsel der politischen Kaste habe sich auch ein Generationensprung vollzogen.

Sichtbarstes Phänomen des Umbruchs war die Studentenorganisation „Chmara“, auf deutsch „genug“! Monate vor dem Umsturz hatten die Studenten in allen Teilen Georgiens Netzwerke zivilen Ungehorsams gebildet. Vorbild war die gegen den serbischen Präsidenten Slobodan Milošević gerichtete Belgrader Studentenorganisation „otbor“. „Wir hatten vor, einen Regimewechsel bei den Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr zu erzwingen“, erzählt Akaki Minaschwili, einer der studentischen Aktivisten, die von Anfang an dabei waren und ihre politische Sozialisation im „Liberty Institute“ erhalten haben, einem Sammelbecken der jüngeren Intelligenz in Tiflis. Wie „otbor“ setzt auch „Chmara“ strikt auf Gewaltlosigkeit und achtet darauf, dass sich keine Hierarchien herausbilden, die Bewegung soll für alle offen bleiben. Schon im Vorfeld des Regimewechsels konnte Chmara Erfolge vorweisen und in einigen Provinzstädten politische Gefangene aus der Haft befreien.

Den größten Zuspruch verzeichnen die Studenten in den Provinzen. In Tiflis stünden die jungen Leute zwischen 25 und 30 der Bewegung eher reserviert gegenüber, weil es ihnen materiell besser gehe, meint Minaschwili. Umfragen hätten ergeben, dass sie nicht an einen Erfolg des Protestes geglaubt hätten und daher vorzögen, Geld zu verdienen. Die Generation zwischen 30 und 45 dagegen hat das Vorgehen der Studenten ohne Wenn und Aber unterstützt. Aus dieser Generation rekrutiert sich die neue Führungsschicht. Der aussichtsreichste Kandidat bei den Präsidentschaftswahlen am Sonntag, Michail Saakaschwili, ist erst 37 Jahre alt.

Bis zu den Wahlen hat „Chmara“ Aktionen zivilen Ungehorsams eingestellt. Man will abwarten, wie sich die neue politische Führung entwickelt. Fällt sie in die alten Muster zurück und fördert Nepotismus und Korruption, gehen die Studenten wieder auf die Straße.

Ähnlich sieht es auch Tinatin Chidaschwili von der Assoziation junger Anwälte Georgiens. „Wenn Saakaschwili mit uns Spielchen treibt, dann zeigen wir ihm, wem er die Macht zu verdanken hat“, meint die streitbare Anwältin: „Ohne uns geht nichts mehr.“ Mit „uns“ meint sie Georgiens erwachende Bürgergesellschaft. KLAUS-HELGE DONATH