Vor der Pressekonferenz mit Jogi Löw: Aktionismus für Anfänger
Bundestrainer Jogi Löw präsentiert seinen Rettungsplan für Fußballdeutschland. Wagt er den Umbruch oder doktert er nur an Symptomen herum?
Die WM-Kampagne des Deutschen Fußball-Bundes war preisverdächtig. Der Verein Deutsche Sprache kürte jetzt den „Sprachpanscher des Jahres“. Aber der DFB, der mit dem kruden Slogan „Best Never Rest“ in Russland als Titelverteidiger angetreten war, wollte den Preis nicht annehmen. Geradezu pikiert reagierte der Verband. „Ohne Worte, was sich der Verein ‚Deutsche Sprache‘ leistet“, erregte sich der DFB via Twitter, „soviel Ahnungslosigkeit macht sprachlos!“ Schuld sei doch der Sponsor Mercedes gewesen, also die Marketingfritzen dort. Nicht der DFB. Allein dieser Tweet lässt tief blicken – auf eine nicht vorhandene Fehlerkultur innerhalb des größten nationalen Sportfachverbandes der Welt.
Man kann nur hoffen, dass sich Bundestrainer Jogi Löw nicht hat anstecken lassen von dieser Art der Aufarbeitung; dass er #zsmmn mit seiner „Die Mannschaft“ in medias res gegangen ist und für sich auch unbequeme Fragen beantwortet hat. Das wäre ganz toll, denn am 29. August will er der Öffentlichkeit in München mitteilen, wie der deutsche Fußball wieder groß werden kann, nachdem er sich bei der Watutinki-WM ja selbst verzwergt hat. Die Bilanz: Aus in der Gruppenphase gegen Südkorea, lächerliches Aussitzen der Özil-Erdoğan-Affäre und ein unbeholfenes Nachkarten, an dem sich der Bundestrainer immerhin nicht beteiligte.
Das war auch schlichtweg nicht möglich, denn Löw war abgetaucht. Er sagte fast nichts, nur dies: „Es muss uns wieder gelingen, wie in den Jahren zuvor, dass man unseren Spielern die Freude, den Spaß, die Leidenschaft für Deutschland zu spielen anmerkt – auf und neben dem Platz.“ Leidenschaft, Freude, Spaß, was man halt so sagt. „Sie müssen wieder Gras fressen“, wäre auch gegangen. Hat er sogar gesagt, verlautbarte der Spiegel, und man fragt sich unwillkürlich: Hat sich Löw womöglich zu lange mit Friedhelm Funkel unterhalten?
Der Bundestrainer urlaubte auf Sardinien und in seiner badischen Heimat. Die Phasen der inneren Einkehr wurden nur unterbrochen von lästigen Terminen in Frankfurt am Main, wo Vertreter des DFB oder der Deutschen Fußball-Liga dann doch mal wissen wollten, wie denn die Löw’schen Gedankenexperimente aussehen und ob sich daraus womöglich Konkretes für den deutschen Fußball ableiten lässt. Die Abgesandten der Vereine und die Funktionäre des Verbandes hat der Jogi irgendwie mit einer cleveren Hinhaltetaktik überzeugen können.
Personalwechsel auf und neben dem Platz?
Aber was wird er in München präsentieren, wenn es wirklich ernst wird? Das Aus für Co-Trainer Thomas Schneider und Chefscout Urs Siegenthaler? Einen neuen Spielstil unter tatkräftiger Mitwirkung junger Spieler wie Nico Schulz, Leroy Sané oder Thilo Kehrer? Das Strickmuster für eine Aussöhnung zwischen den „Kartoffel“-Kickern und den „Kanaken“, die sich diese Invektive laut Lukas Podolski schon 2016 wie lustige Luftballons um die Ohren gehauen hätten? Die Umstrukturierung der Nachwuchsförderung, die zwar Kohorten von braven Systemspielern hervorbringt, aber keine echten „Dribbler“ (Löw) und „Spezialisten“ (dito), die sich eben nicht in der polyvalenten Tiefe des Raumes verlieren?
Reform oder Reförmchen, großer Wurf oder kleines Karo, das ist die Frage der Fragen. Und wie man Löw kennt, wird es wahrscheinlich so ein Zwischending werden. Er wird Zugeständnisse machen, Selbstkritik üben, allen ein Häppchen hinwerfen, nur damit er bald wieder in Ruhe sein Espresso-Freiburg-Ding durchziehen kann. So elegant, lässig und ungestört wie früher geht das vorerst leider nicht mehr. Der Jogi ist ja jetzt trotz seiner Meriten auf Bewährung in der Welt des Fußballs unterwegs. Da muss man sich schon mal regen und beispielsweise an einem Fußballwochenende auf drei verschiedenen Plätzen erscheinen, in München, Mönchengladbach und Düsseldorf.
Löw als Groundhopper? Das war in der Vergangenheit eher nicht sein Metier. Dass er sich jetzt auch noch unters Trainervolk mischen will, am 23. September bei der internationalen Trainerkonferenz in London, ist Zeichen eines Aktionismus, der den Gemütsmenschen Löw fordern dürfte. Aber damit er nicht alles auf einmal umkrempeln muss, hat er sich Formen der alten Bequemlichkeit erhalten. Mit İlkay Gündoğan arbeitete er die WM und das nervenaufreibende Drumherum nur fernschriftlich auf. Der Bundestrainer schrieb eine SMS.
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