Vor der Präsidentenwahl in der Türkei: Krönungsmesse für Erdogan
Die AKP kürt Premier Erdogan zu ihrem Kandidaten für die Präsidentenwahl im August. Die Oppositionsparteien nominieren seine Herausforderer.
ISTANBUL taz | „Durmak Yok, Yola Devam!“ Der Schlachtruf der türkischen Regierungspartei AKP („Es gibt keinen Stopp, der Weg muss weitergehen“) schallte am Dienstagmittag durch das Kongresszentrum in Ankara, als der stellvertretende Parteivorsitzende Mehmet Ali Sahin verkündete, was alle erwartet hatten: Die Partei, sagte er mit bebender Stimme, habe sich nach langem Ringen entschieden, den Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan als Präsidentschaftskandidaten ins Rennen zu schicken.
Die Veranstaltung in der türkischen Hauptstadt glich einer Krönungsmesse für den Messias der neuen Türkei. Es war Personenkult pur, als über eine Leinwand zunächst ein Filmeinspieler über die Erfolge der Regierung flimmerte, gefolgt von einer sentimentalen Würdigung Erdogans.
Dieser begann seine Rede mit einem Gebet, in dem er Gott um den Sieg bei der Wahl am 10. August bat. Danach inszenierte er sich als Retter der Beladenen und Entrechteten und versicherte der Bevölkerung der Türkei, mit ihm, Erdogan, sei das Land endlich wieder in der Lage, seine Bürger mit Stolz zu erfüllen: „Niemand wird uns bremsen.“
Er versicherte seinen Anhängern, er werde sich weder durch innere noch durch äußere Feinde von seinem Weg abbringen lassen. Ein sarkastischer Kommentar auf Twitter lautete: „Isis kann sich heute anschauen, wie ein echter Kalif aussieht.“
Eine propagandistische Meisterleistung
Ab jetzt beginnt für Erdogan das Rennen mit dem Ziel, bereits im ersten Wahlgang am 10. August 50 Prozent plus eine Stimme zu schaffen. Letzte Umfragen von AKP-nahen Instituten sehen ihn mindestens bei 51 Prozent.
Schon der Vorlauf zu seiner Erklärung vom Dienstag war eine propagandistische Meisterleistung. Seine Berater schafften es, mit dem Thema „Wird er antreten oder nicht?“ die Schlagzeilen zu beherrschen. Bis vor wenigen Tagen waren sich manche Kommentatoren nicht sicher, ob Erdogan sich nicht doch mit dem amtierenden Präsidenten Abdullah Gül auf eine zweite Amtszeit Güls einigen würde.
Erdogans Zögern hat Gründe. Ursprünglich wollte er nur antreten, wenn zuvor die Verfassung von einer parlamentarischen zu einer Präsidialdemokratie geändert worden wäre. Jetzt bleibt die exekutive Macht auf dem Papier beim künftigen Ministerpräsidenten. Daher wird in der Türkei seit Wochen spekuliert, wen Erdogan als Regierungschef einsetzen wird.
Das Risiko, dass die Partei sich in Flügelkämpfe verstrickt, wenn Erdogan als Präsident den Parteivorsitz und das Amt des Regierungschefs abgegeben hat, ist groß. Andere Ministerpräsidenten vor ihm wie Turgut Özal und Süleyman Demirel haben genau das erlebt, nachdem sie zum Präsidenten gewählt worden waren.
Herausforderer mit gutem Ruf in der AKP
Einen Tag vor der AKP hat am Montag auch die kurdische HDP ihren Kandidaten bekannt gegeben. Mit Selahattin Demirtas hat sie ihren stärksten Mann nominiert. Gelingt es Demirtas, über die Kurden hinaus auch einen Teil der türkischen Linken für sich zu gewinnen, könnten bis zu 10 Prozent für ihn drin sein.
Die Chancen dafür stehen nicht schlecht, da die beiden anderen Oppositionsparteien, die sozialdemokratisch-kemalistische CHP und die ultranationalistische MHP, sich auf einen Kandidaten geeinigt haben. Dieser ist zwar geeignet, ins religiös-konservative Milieu von Erdogan einzudringen, doch dafür wird er viele linke und kemalistische Stimmen nicht bekommen.
Ekmeleddin Ihsanoglu kommt als früherer Generalsekretär der Organisation für islamische Zusammenarbeit (OIC) aus Erdogans Ecke und war vor Jahren von der AKP als erster türkischer Vorsitzender der Islam-Internationale durchgeboxt worden. Weil er als Generalsekretär nicht durchsetzen konnte, dass die OIC den Putsch gegen die Muslimbrüder in Ägypten 2013 verurteilt, ließ Erdogan ihn fallen.
Ihsanoglu ist ein professoraler, kosmopolitischer Islamist, der zwar wenig wahlkampftauglich ist, aber in weiten Kreisen der AKP nach wie vor hohes Ansehen genießt. Wo Erdogan polarisiert, ist er der Moderator, nach dem sich auch bei den Konservativen viele sehnen.
Es könnte also durchaus sein, dass Erdogan in der ersten Wahlrunde nicht durchkommt. Das ist dann der Augenblick für die Kurden. Erdogan wäre gezwungen, den kurdischen Forderungen entgegenzukommen, um ihre Stimmen für die zweite Runde zu gewinnen.
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