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Parteiinterner Streit: Macronisten gegen Macronisten

Nicht allen loyalen Mitstreitern erweist Emmanuel Macrons Partei Renaissance ihre Anerkennung. Im Interesse einer eventuellen Koalition mit den Konservativen lässt sie ihren früheren Fraktionschef im Stich

Aus Paris Rudolf Balmer

Die durch die EU-Wahlniederlage ausgelöste Krise des Macronismus hat viele Namen. Einer davon ist Gilles Le Gendre. Der heute 66-jährige ehemalige Journalist und Unternehmensberater war von Beginn an mit dabei, als Emmanuel Macron 2016 seine Bewegung „En marche“ startete. Er hatte damals politisches Flair, denn 2017 wurde er im Pariser Wahlkreis des Quartier Latin als Abgeordneter der neuen Mittepartei „La République en marche“ (LREM) gewählt. In der Nationalversammlung erhielt er 2018 als Fraktionschef von LREM einen wichtigen Posten.

Le Gendres Rolle als Fraktionschef bis 2020 bestand dann allerdings vor allem darin, die Politik der Regierung und des Präsidenten absegnen zu lassen. Das fiel ihm nicht besonders schwer, er gilt als Liberaler, der sich „wirtschaftspolitisch eher rechts, in Kultur- und Gesellschaftsfragen eher links und darum bei Wahlen etwas schizophren“ fühlte, bis er auf Emmanuel Macron und dessen Devise „links und auch rechts und in der Mitte“ stieß.

Sieben Jahre später verteilt Le Gendre wieder seine Wahlflugblätter auf der Rue Cler im 7. Stadtarrondissement mit ihren Cafés und Delikatessenläden. Er kandidiert erneut für seinen Pariser Wahlkreis. Doch im Unterschied zu 2017 und 2022 ist er ernüchtert. Dieses Mal ist er „Dissident“, denn er wurde nicht von seiner Partei, die jetzt Renaissance heißt, eingesetzt. Die hat sich für einen anderen Kandidaten entschieden, ein bisheriges Mitglied der konservativen Partei Les Républicains (LR), der im Pariser Stadtrat in der oppositionellen Fraktion von Rachida Dati saß. Macron hat Dati (Ex-LR) vor Kurzem zur Kulturministerin ernannt. Sie setzte durch, dass ihr engster Mitarbeiter Jean Laussucq für die Macronisten antritt – und nicht Le Gendre. Der musste selbst herausfinden, dass er nicht nominiert wurde.

Wahrscheinlich hat er den Preis für eine Majestätsbeleidigung bezahlt, weil er in der Zeitung Le Monde die Auflösung der Nationalversammlung durch Macron als „unsinnig“ und als „unnötiges Risiko“ kritisiert hatte. Die für die Wäh­le­r*in­nen offensichtlichen Intrigen hinter den Kulissen der Macht haben Le Gendre aber nicht davon abgehalten, ohne offiziellen Segen und in Konkurrenz zum LR-Renaissence-Kandidaten als Parteiloser und im Namen der „Mehrheit des Präsidenten“ anzutreten. Das steht so auf seinem Flugblatt, auf dem dieses Mal nicht das Foto des Staatschefs als Referenz abgebildet ist.

Über Macron will Le Gendre nichts Böses sagen, auch wenn er weiß, wo die Ränke gegen ihn geschmiedet wurden. „Ich denke, das wurde zwischen Dati, der Parteiführung und vielleicht dem Staatspräsidenten abgemacht“, sagt er. Datis einziges Interesse und Plan sei, schließlich als Gegnerin von Anne Hidalgo Pariser Bürgermeisterin zu werden. „Als Madame Dati zu uns (Renaissance) kam, sollte das uns stärken. Doch das Erste, was sie bei dieser so enorm wichtigen Wahl (der Abgeordneten) unternahm, war es, Zwietracht in unserem Wahlkreis zu säen“, sagt Le Gendre.

Im Hintergrund versuchen die Parteiführungen von Les Républicains und Renaissance, ein paar Grundsteine für eine zukünftig engere Zusammenarbeit oder gar formelle Koalition an der Regierung oder in der Opposition zu legen.

Das erfordert auch prominente Opfer. Le Gendre ist nur ein Beispiel für die Verwirrung und den oft deprimierten Fatalismus, der seit dem 9. Juni bis hinein in die loyalsten Kreise der Macronisten herrscht, nachdem der Präsident ohne jegliche Vorwarnung oder Diskussion mit ihnen die Neuwahlen angeordnet hatte. Er kann indes hoffen, dass ausgerechnet der Dolchstoß seiner Ex-Partei ihn für den Fall eines zweiten Wahlgangs gegen die rechtspopulistische Kandidatin für die gegen Macron aufgebrachten Linkswähler akzeptabel macht.