Vor der Landtagswahl in Bayern: Der sich selbst am nächsten ist
Markus Söder predigt Respekt, doch der soll nur ihm gelten. Er überschüttet das Volk mit Geschenken, das aber reserviert reagiert.
Drinnen schauen die Gäste des Presseclubs dafür gespannt auf den Tisch, an dem gleich der Ministerpräsident Platz nehmen wird. Noch nicht einmal 24 Stunden ist es her, dass der Bayerische Rundfunk den neuesten Bayerntrend veröffentlicht hat. Demnach steuert Söders CSU einer Katastrophe entgegen. Für christlich-soziale Verhältnisse zumindest: 35 Prozent gibt ihr die wichtigste bayerische Umfrage gerade noch – vier Wochen später werden es sogar nur noch 33 Prozent sein. Auch Söders persönliche Werte sind im Sinkflug.
Das Glockenspiel hat gerade begonnen sich zu drehen, als jemand ruft: „Er kommt.“ Die Kameraleute laufen auf den Gang hinaus, dem Ministerpräsidenten entgegen. Söder kommt in den Raum, groß und breitbeinig, wirft ein „Grüß Gott“ in die Runde und tritt, kaum dass er sitzt, die Flucht nach vorne an. Noch ehe Presseclub-Chef Peter Schmalz die Umfrage ansprechen kann, hat Söder sich schon selbst das Thema gegriffen.
Zunächst gibt es einen Hieb auf die Demoskopen, die sich doch in letzter Zeit immer irrten. Sicher, man dürfe Umfragen nicht ignorieren, aber man dürfe auch nicht hyperventilieren. Dann gebe es ja auch noch all die Unentschlossenen! Und überhaupt: Der Grund für die miesen Umfragewerte liege in Berlin.
Ein Weckruf, nur nicht für Markus Söder
Während Söder spricht, sind seine Hände auf der Tischplatte unterwegs, schaffen dort scheinbar Ordnung. Sie wandern nach rechts, dann nach links, als umfassten sie einen Fußball und setzten ihn mal auf der einen, mal auf der anderen Seite ab. Als Weckruf dürfe man die Umfrage natürlich schon verstehen, sagt Söder dann. Es ist einer dieser Momente, wo man denkt, dass jetzt ein Anflug von Selbstkritik kommt, dass der Söder eben doch nicht nur dieser Haudrauf ist, als der er so gern hingestellt wird. Doch ein paar Sätze später ist das Bild schon wieder zurechtgerückt: Einen Weckruf für den Wähler hat Söder natürlich gemeint. Der solle sich doch mal vor Augen führen, was es heißen würde, wenn tatsächlich, wie nun erstmals prognostiziert, sieben Parteien in den Landtag einzögen! Instabilität, Zersplitterung, Kommunisten, Rechtsextreme! Kurzum: eine Gefahr für die Demokratie. Ein Mobiltelefon klingelt. „Den Weckruf nehme ich auch an“, scherzt Söder.
Söder versucht, den Landesvater zu geben: souverän, gesittet, versöhnlich. Er scheint wieder da angelangt, wo er Ende letzten Jahres gestartet ist – genau genommen, am 4. Dezember 2017. Das ist der Tag, an dem da plötzlich der neue Söder in einem Besprechungsraum im Landtag steht. „Wir werden mit dem heutigen Tag ein neues Kapitel beginnen können“, sagt er. Kurz zuvor hat die CSU-Fraktion beschlossen, dass Söder das Ministerpräsidentenamt von Horst Seehofer übernehmen soll. Söder trägt eine rosafarbene Krawatte, den inneren Triumph lässt er sich nicht anmerken. Ob er Bammel habe, fragt ihn ein Journalist. „Wer Angst hat, einen Elfmeter zu verschießen, der sollte lieber nicht antreten“, entgegnet der Politiker. Es ist der einzige Satz, der dezent aufs eigene Selbstbewusstsein anspielt.
Markus Söder
Stattdessen spricht Söder von Verantwortung und Mannschaftsleistung, von Ämtern, die nur geliehen sind, und davon, dass er auch auf die zugehen wolle, die seiner Person skeptisch gegenüberstünden. Vor allem aber spricht er von Mut und Demut.
Demut? Die Vokabel, die zuvor wohl noch niemand mit diesem Mann in Verbindung gebracht hatte, wird in den darauffolgenden Monaten zu einer von Söders meistbenutzten, und man fragt sich: Ist das wirklich Söder? Der Mann, der das Zündeln nicht lassen kann, der schon Europa-, Umwelt- und Finanzminister war, aber letztlich nie ganz den CSU-Generalsekretär abzulegen vermochte? Der Mann, über den Roman Deininger und Uwe Ritzer in ihrer Biografie den schönen Satz formulieren: „Die Verweigerung von Subtilität ist bei Söder ein grundsätzliches Problem.“
Ein Feuerwerk von Markus Söder
Aber nun, wo er am Ziel seiner Träume angelangt ist, will Söder sein Image offensichtlich polieren. Er geriert sich als Macher, als Kümmerer – vor allem für den kleinen Mann. Bei seiner ersten Regierungserklärung im März brennt er ein Feuerwerk an geplanten Maßnahmen ab: von der Gründung einer staatlichen Wohnungsbaugesellschaft übers Familiengeld und den Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs bis hin zu einer bayerischen Kavallerie. Dann noch Transitzentren, eine bayerische Grenzpolizei und ein Landesamt für Asyl und Abschiebungen, aber auch eines für Pflege. Die Amtszeit des Ministerpräsidenten will Söder auf zwei Legislaturperioden begrenzen – auch das als Beweis seiner „Demut“.
Anruf bei Ulrike von Waitz. Demut? Söder? Passt das? Am anderen Ende wird es kurz still. Dann: „Nein. Solche Werte traue ich ihm nicht zu.“ Von Waitz ist Gemeinderätin in Kahl am Main, einer kleinen Ortschaft in Unterfranken. Und sie ist in der CSU, seit knapp 20 Jahren. Eigentlich sollte sie jetzt an einem Infostand stehen, für ihren Spitzenkandidaten Wahlkampf machen. Stattdessen ist sie bei Ikea. Wahlkampf für Söder? Nein, wirklich nicht.
Von Waitz ist eine fröhliche und gesprächige Frau. Und sie ist eine, die offen ausspricht, was andere in der Partei nur denken – oder hinter vorgehaltener Hand sagen. Kurz vor der Wahl hält sich die Auskunftsfreude vieler Christsozialer sehr in Grenzen. „Deprimierend“, das ist das Adjektiv, das von Waitz immer wieder benutzt. Deprimierend sei es mit der CSU. Mit Söder. Schon 2013, nach der letzten Wahl, habe sie zu Parteifreunden im Landtag gesagt: „Hoffentlich nehmt ihr den nicht.“ Söder sei vom Typ her nicht tragbar, weder christlich noch sozial. Einfach nur ein Karrieretyp. Gut, er hätte sich ja bewähren können. Habe er aber nicht.
Eine Enttäuschte über Markus Söder
Damals im Juli dieses Jahres, als der Streit um die Flüchtlinge wieder aufgeflammt war, als Seehofer mit Rücktritt drohte und sich über 69 abgeschobene Flüchtlinge an seinem 69. Geburtstag freute, da hätte Söder mal Demut und Anstand beweisen können. Auch im Umgang mit der Kanzlerin. „Aber der hat doch den Seehofer-Kurs voll mitgeritten. Dass er sich jetzt von Berlin distanziert, ist nicht glaubwürdig.“ Dass Söder dann auch noch versucht habe, mit seinem Kreuzerlass die Kirche zu instrumentalisieren, hat sein Standing bei der Pfarrerstochter nicht besser gemacht. Sie hat ihr Kreuz schon gemacht – bei der SPD.
Politik, wie sie gerade in die Karriereplanung passt, das ist auch das, was die Opposition Söder vorwirft. „Die Menschen nehmen Ihnen das nicht ab“, musst er sich neulich im Landtag von SPD-Chefin Natascha Kohnen sagen lassen. „Die wissen, dass Sie morgen wieder einen anderen Ton anschlagen, wenn Sie meinen, dass das Ihnen hilft. Ihnen geht es ausschließlich um die Macht – als Selbstzweck.“
Ein anderer meint: „Das ist reiner Egoismus, der Söder antreibt. Da geht es einfach nur darum, sagen zu können: Ich bin der Größte.“ Es ist kein Politiker, der das sagt, einfach nur Wähler. Einer von denen, auf die die CSU ihre Macht gründet. Einer, der immer schwarz gewählt hat. Früher. Diesmal dürfen sich die Grünen über seine Stimme freuen. Söder? „Ich würde ihn ja gern einfach nicht ernst nehmen“, sagt der Mann. „Aber dafür ist er in einer zu exponierten Stellung.“
Karrieretyp, Polterer, Egomane – irgendwie klingen die Beschreibungen Söders viel zu platt, um wahr zu sein. Aber man hört sie oft, erstaunlich oft. Und immer, wenn man denkt, jetzt habe sich der Ministerpräsident aber im Griff, kommt er mit etwas Neuem um die Ecke, im besten Fall nur mit einer Peinlichkeit. Dann ist es plötzlich nicht mehr der Welpe Idefix aus dem Nürnberger Tierheim, den er auf Twitter präsentiert, sondern ein JU-Wahlkampf-Logo, das sein Konterfei mit dem Schriftzug „Bavaria One“ zeigt. Anlass des Tweets: der Kabinettsbeschluss zum neuen Raumfahrtprogramm.
Ein Fehlstart von Markus Söder
Es ist, als ob Söder versucht, nun endlich der zu sein, der er immer werden wollte, aber ihm dabei immer wieder jemand in die Quere kommt – der Original-Söder, der Generalsekretär auf Lebenszeit. Nur so scheint es zu erklären zu sein, dass sich Söder im Sommer plötzlich – ausgerechnet in Allianz mit seinem alten Widersacher Horst Seehofer – an die Speerspitze des „besorgten Bürgertums“ setzt. Die Diskussion um die Sekundärmigration wird ungeachtet ihrer tatsächlichen Bedeutung ins Zentrum der Diskussion verschoben, in Berlin droht die Koalition daran zu zerbrechen.
In dieser Zeit prägt Söder den Begriff des „Asyltourismus“. Auch von „Asylgehalt“ ist die Rede und von „Überfremdung“. Gern spricht der Ministerpräsident auch von den „eigenen Leuten“ oder der „einheimischen Bevölkerung“, die man bei aller Hilfsbereitschaft für Flüchtlinge nicht vergessen dürfe. Doch die Rechnung geht nicht auf. Statt AfD-Wähler mit markigen Sprüchen zurückzugewinnen, vergrault die CSU nun die Mitte. Zumindest wenn man die Umfragewerte als Indiz hierfür gelten lässt.
Sogar die New York Times wird auf den Mann aus Bayern aufmerksam. Die Welt, die er beschreibe, sei dieselbe wie die, die Viktor Orbán und andere europäische Populisten skizzierten, schreibt die Zeitung: „eine, in der überwiegend muslimische Flüchtlinge die christlich-abendländische Kultur zu unterminieren drohen und in der eine konservative Revolution nötig sei, um die liberalen Regierungen zu entmachten, die diese Flüchtlinge ins Land gelassen haben“. Überschrift des Porträts: „Der Mann, den sie Deutschlands Trump nennen“. Kurz vor der Sommerpause kündigte Söder dann an, das Wort „Asyltourismus“ nicht mehr zu verwenden. Zu spät, um den angerichteten Schaden wiedergutzumachen.
Eigentlich sei Söder ein sehr guter politischer Stratege, sagt Michael Weigl. Aber die Diskussion um den „Asyltourismus“ vom Zaun zu brechen sei definitiv ein Fehler gewesen. „Da ist etwas aus dem Ruder gelaufen.“ Weigl ist Politikwissenschaftler an der Universität Passau. Er beschäftigt sich seit vielen Jahren mit bayerischer Landespolitik. Die CSU stecke natürlich auch in einem Dilemma, erklärt er. Ihre beiden Hauptgegner seien die AfD und die Grünen. Es gilt also, die ehemaligen Wähler bei der AfD zurückzuholen und gleichzeitig die in der Mitte zu halten. Ein Spagat, der Söder offensichtlich überfordert.
Eine Hymne auf Bayern von Markus Söder
Mit direkten Angriffen auf die anderen Parteien – mit Ausnahme von AfD und Linken – hält sich Söder in der letzten Zeit auffallend zurück. Als Koalitionspartner wären ihm sicherlich die Freien Wähler oder die FDP am liebsten, aber auch ein Bündnis mit SPD oder Grünen schließt er anders als manche seiner Parteifreunde nicht aus. Was für Söder wirklich zählt, ist nicht, wer in der Regierung sitzt, sondern wer in der Staatskanzlei sitzt.
Seit seiner Bruchlandung in der Flüchtlingsdiskussion bestreitet Söder den Wahlkampf vornehmlich mit Hymnen auf das großartige Bayern. Selbst seine zweite Regierungserklärung in der letzten Plenarsitzung der Legislaturperiode hat er damit gespickt. Dass Bayern das wirtschaftlich erfolgreichste Bundesland sei, führt Söder in seiner Rede an, dass es hier kein Chemnitz und die wenigsten Straftaten gebe, dass die bayerischen Schüler die besten seien.
Garniert wird das Selbstlob meist mit dem Verweis auf das Unvermögen anderer Bundesländer. Schon allein das Wort Bundesland – für Söder ist es keine Kategorie, in der Bayern zu fassen ist: „Andere sind Bundesländer, wir sind Freistaat“, sagt er. Es sind diese Äußerungen, die SPD-Chefin Natascha Kohnen in ihrer Erwiderung als „großmäulig, arrogant und besserwisserisch dem Rest der Republik gegenüber“ bezeichnen wird.
„Söder ist nun mal einer, der gern zu dick aufträgt“, sagt Politologe Weigl, „er kommt vom ganzen Typ her arrogant rüber.“ Aber das mit der Arroganz sei halt auch eine „subjektive Geschichte“. In Bayern habe man eben diesen Hang, etwas zu selbstbewusst aufzutreten. Es sei schwer zu beurteilen, ob Söder das Wahlvolk damit für sich einnehmen könne oder es eher abstößt.
Söder lässt es sich nicht nehmen, in seiner Regierungserklärung schließlich auch noch die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung zu zitieren: „Bayern ist Deutschlands Märchenland.“ Aus der Grünen-Fraktion schallt es zurück: „Und Sie sind der Märchenkönig oder was?“ Ein Bild, das sich durchaus aufdrängt – zumal wenn man sich erinnert, dass Söder vor noch gar nicht langer Zeit im Fasching tatsächlich als Ludwig II. aufgetreten ist. Doch Söder reagiert wie meist in solchen Situationen nicht mit Humor, sondern mit moralischer Belehrung: „Am letzten Tag“, erwidert er, „sollten wir einmal versuchen, Anstand und Respekt walten zu lassen.“ Dabei kann Söder sehr wohl auch mal über sich lachen – solange er selbst es ist, der die Witze reißt.
Kein Respekt für Markus Söder
Respekt: Es ist inzwischen das neue Lieblingswort Söders. Dabei geht es meist um den Respekt der anderen. Es ist Söders gängige Vorgehensweise: Er erklärt Kritik an ihm, seiner Partei oder seiner Regierung zur Respektlosigkeit Dritten gegenüber und sich selbst zum Schutzherrn der vermeintlich Attackierten. So ist respektlos gegenüber Landwirten, wer die Landwirtschaftspolitik der CSU kritisiert. Und wenn ihm die Kabarettistin Luise Kinseher „moralische Legasthenie“ attestiert, wirft er ihr vor, sich über Legastheniker lustig zu machen. Und als ausgerechnet der Machtmensch Söder im Landtag sagte, die Menschen wollten nicht über Machtfragen reden, dröhnte aus den Oppositionsbänken schallendes Gelächter. „Über Bürger zu lachen ist kein guter Stil“, belehrte Söder die Abgeordneten.
Die Süddeutsche Zeitung hat einmal einen anderen fränkischen Überflieger recht treffend als Politiker beschrieben, „dem Epoche zugetraut wurde und der doch nur Episode blieb“. Der hatte zwar bessere Manieren und nicht ganz so viel Chuzpe, aber es ist nicht vollends auszuschließen, dass Söder ein ähnliches Schicksal wie das von Karl-Theodor zu Guttenberg ereilt.
Und doch ist es bezeichnend, dass sich kaum einer vorstellen kann, dass Söder geht – und sei die Niederlage auch noch so krachend. Seehofer, so vermuten viele, wird von seiner Partei die alleinige Schuld am Wahlsieg angeheftet werden, und Söder im Zweifel sogar den Parteivorsitz übernehmen. „Söder bleibt, wenn nicht irgendwas ganz Außergewöhnliches passiert, Ministerpräsident“, sagt etwa Politologe Weigl. „Und das für zehn Jahre.“
Ulrike von Waitz hält ein Wahldesaster ihrer Partei für unausweichlich – und für nötig. So gehe es derzeit vielen an der CSU-Basis, erzählt sie. Sie habe die Hoffnung, dass auch Söder dann nicht mehr tragbar sein könnte, sagt sie. „Ich hoffe auf ein Wunder.“
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