Vor der Fußball-WM in der Wüste: Ein Sündenfall für zwei
Die WM ist für Katar ein Baustein seiner Machtstrategie und die Fifa das ideale Umfeld, um seine Möglichkeiten voll auszuspielen. Alles ist käuflich.
Betretene, ungläubige Mienen im Publikum. Die Szene spielt am 2. Dezember 2010 in Zürich. Die USA haben Brad Pitt, Morgan Freeman, Arnold Schwarzenegger und Spike Lee in ihre Kampagne eingebunden, ohne Erfolg. Sogar Bill Clinton ist in die Schweiz gereist. Vor Wut schmeißt er im noblem Hotel Baur au Lac einen Spiegel ein.
Der ehemalige US-Präsident ist von den Katarern überrumpelt worden, und das hat wohl auch mit einer Szene auf einer Toilette in der Züricher Fifa-Zentrale an jenem 2. Dezember zu tun. Vor einem New Yorker Schwurgericht schildert sie der TV-Rechtehändler Alejandro Burzaco später so: Der brasilianische Fifa-Funktionär Ricardo Teixeira, sein Kollege Nicolas Leoz aus Paraguay und der 2014 verstorbene Argentinier Julio Grondona sollen ihre Stimmen verkauft haben. Konkrete Beweise liefert Burzaco nicht, behauptet aber, sein Landsmann und langjähriger Geschäftspartner Grondona habe für das Katar-Votum eine hohe Summe erhalten.
Leoz habe während der ersten beiden Abstimmungsrunden im Fifa-Exekutivkomitee zunächst Japan, dann Südkorea, nicht aber Katar gewählt. Teixeira und Grondona hätten ihn deswegen in der Toilette ins Gebet genommen. „Sie schüttelten ihn“, berichtet Burzaco, „und sie fragten: Was machst du? Stimmst du nicht für Katar?“
Bakschisch
Grondona soll 1,5 Millionen Dollar bekommen haben, Teixeira weit mehr, weshalb der mit weniger Bakschisch bedachte Argentinier bei einem Fifa-Treffen Abgesandte Katars zur Rede gestellt haben soll: „Zahlt mir 80 Millionen Dollar oder erklärt öffentlich, dass ihr nie Schmiergelder gezahlt habt!“
Die Fifa-Exekutive, der Welt-Fußballrat mit der Macht zur WM-Vergabe, hat zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Mitglieder wegen Korruptionsverdacht verloren, Reynald Temarii aus Tahiti und den Nigerianer Amos Adamu. Beide waren in die Falle der britischen Zeitung Sunday Times getappt, indem sie sich bei Undercover-Recherchen als bestechlich zeigten.
Bewerber Katar kennt die Usancen im Weltverband nur zu gut. Seit 1996 sitzt der Katarer Mohamed bin Hammam im Exekutivkomitee der Fifa. Er ist als Wahlhelfer von Sepp Blatter in Erscheinung getreten, besorgte Stimmen und Privatjet für die Werbetouren des Schweizers. Und so wundert es wenig, wenn im Zuge von „Qatar-Gate“ auch die Exekutivmitglieder Issa Hayatou aus Kamerun und Jacques Anouma aus der Elfenbeinküste kassiert haben sollen. Um die Afrikaner gewogen zu stimmen, hat Katar außerdem 1,25 Millionen Dollar für die Organisation eines Kongresses des Afrikanischen Fußballverbandes gezahlt.
Fair Play? Nachrangig
Katar wollte mit allen Mitteln auf die Landkarte des Sports. Compliance-Regeln, Dezenz, Fair Play? Nachrangig. Sie priorisieren ihre Interessen – und setzen sie durch. Geld ist durch ein riesiges Gasfeld vor der Küste des Landes reichlich vorhanden. Die Milliarden sprudeln. Die Ambitionen wachsen mit dem Reichtum, der aus der Tiefe kommt. Die Gas-Vorräte reichen noch mindestens 100 Jahre. „Die Hyperentwicklung des Landes beginnt Mitte der 90-er Jahre“, sagt Andreas Krieg, Nahostexperte vom Londoner King’s College, „mit ihr wurde ein unglaublicher Prozess des Wandels angestoßen.“
Der TV-Sender Al Jazeera wird gegründet, Katar veranstaltet mehr und mehr Sportereignisse. Anfangs macht die ATP-Tour der Tennisprofis Station in Doha, der Hauptstadt des kleinen Landes, das nur halb so groß ist wie Hessen und gerade mal 300.000 katarische Staatsbürger beheimatet – neben 2,8 Millionen Zugewanderten mit niederem Status.
Katar wird Gastgeber der Asienspiele, der Handball-WM, der Leichtathletik-WM. Die Liste der Sport-Events ist lang. Überdimensionale Sportprojekte laufen an, sind Teil eines zügellosen Baubooms: Die Aspire Sports Academy wird Mitte der Nullerjahre aus dem Boden gestampft. Die Talentsichtung erstreckt sich über den gesamten Globus; sind nicht genug eigene Talente da, werden sie eingebürgert wie der kenianische Leichtathlet Stephen Cherono. Der Golfstaat verfolgt die Strategie des Soft Power, will über den Sport an Attraktivität und Einfluss gewinnen.
Thank you for choosing Deutsche Bahn
Die Katarer kaufen Know-how ein, auch aus Deutschland. Das Architekturbüro Albert Speer und die angeschlossene Agentur Proprojekt planen die WM-Stadien für die ersten Präsentationen, die Münchner Agentur Serciveplan macht das Bewerbungsbuch hübsch, bindet es für Sepp Blatter in Ziegenleder ein. Die Deutsche Bahn AG plant den U-Bahnbau in Doha; dreistellige Milliardensummen gehen in den Ausbau der Infrastruktur und den Bau der WM-Stadien. Deutsche Sportwissenschaftler bekleiden Führungspositionen in der Aspire Academy, deutsche Trainer coachen katarische Fußballklubs, Profis wie Stefan Effenberg oder Mario Basler nehmen im Herbst ihrer Karriere dicke Schecks an. Firmen wie VW oder Porsche heißen Investitionen des über 400 Milliarden Dollar schweren katarischen Staatsfonds willkommen. Der Wissenstransfer führt freilich auch in Graubereiche, die manchmal bis in den Pariser Élysée-Palast reichen.
So wird Uefa-Präsident Michel Platini Ende November 2010 zum Abendessen mit Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy und dem Emir von Katar, Hamad Al Thani, eingeladen. Am Tisch sitzt auch Sebastian Bazin, Europa-Repräsentant der US-Investmentfirma Colony Capital und damals noch Hauptaktionär des Fußballklubs Paris St. Germain. Bazin wird sein Verlustgeschäft PSG los, der Scheich aus Katar freut sich über eine weitere Investitionsmöglichkeit und Sarkozy ist „glücklich“ über die rosige Zukunft seines neuen Lieblingsklubs PSG. Platinis Sohn Laurent schafft kurz darauf im Januar 2011 den Sprung in die Chefetage bei Qatar Sports Investment, jenem Ableger des Staatsfonds Qatar Investment Authority, der nun Eigentümer von PSG ist. Katar ordert hernach auch Flugzeuge von Airbus sowie Militärjets. Das kann Zufall sein, der Plan der Katarer, sich strategisch in Firmen einzukaufen und Netzwerke zu spinnen, ist es nicht.
Sie gehen sogar so weit, mit geheimdienstlichen Mitteln zu arbeiten, um zu ihrem Ziel World Cup zu kommen. Wie die Sunday Times darlegt, zeigten die Emails eines Whistleblowers, dass die Katarer eine Firma für Öffentlichkeitsarbeit sowie frühere Agenten des US-amerikanischen Geheimdienstes CIA bezahlten, um falsche Propaganda über ihre Hauptgegner im Bewerbungsprozess, die USA und Australien, zu streuen. Bei der Agentur soll es sich um Brown Lloyd Jones (BLJ) handeln, die heute als BLJ Worldwide firmiert.
Konspiration
Auch der ehemalige Präsident des Deutschen Fußball-Bundes, Theo Zwanziger, wird konspirativ bearbeitet. So wird dem Emirat vorgeworfen, im Zuge der WM-Vergabe über die US-Firma Global Risk Advisors Spionageaktionen gegen Fifa-Funktionäre orchestriert zu haben. Der Anwalt und Fifa-Aufklärer Mark Pieth sagt dazu: „Das ist kein Land, dessen Nähe man suchen sollte.“ Er habe kein Interesse an den sportlichen Aspekten dieser WM. „Dieser Ort ist derart daneben, dass ich keine Lust habe, Fußball zu schauen.“
Was ihn erzürnt: Die Menschenrechtslage, die offensichtliche Bestechung von Fußballfunktionären, die Bespitzelungsaktionen und eine mögliche Terrorfinanzierung durch Katar.
Andreas Krieg vom King’s College ist der Meinung, die aktuelle Kritik an Katar sei vor allem eine Kritik an der Fifa; man schlägt den Sack und meint den Esel: „Die Kommerzialisierung des Fußballs ist der Ursprung dieser Ablehnung, sie hat mit der Korruption in der Fifa angefangen. Die Katarer absorbieren 95 Prozent dieser Kritik, und die Fifa kommt dabei viel zu gut weg“, sagt Krieg, der den Golfstaat zwischen 2013 und 2017 vor Ort militärisch beraten hat und für eine differenzierte Sicht auf die „komplexe Region“ wirbt.
Die Weltmeisterschaft, sagt er, habe positive Effekte auf das Land: „Die WM hat eine Riesentransformation mit sich gebracht, fast eine 180-Grad-Wende.“ Die Zivilgesellschaft sei gewachsen, die Generation Z „viel liberaler“. Solche Veränderungen hätten ohne den Fußball „Jahrzehnte gebraucht“. Anwalt Mark Pieth kann den Optimismus nicht teilen. „Sie haben sicherlich nach den informellen Regeln der Fifa gespielt, aber aus meiner Sicht entlastet sie das überhaupt nicht. Dass sich Katar an die Fifa anschmiegt, das passt ganz gut.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Israels Brüche der Waffenruhe
Die USA sind kein neutraler Partner