Vor der Bundestagswahl: Wahlkreis Neukölln: Nach dem Kampf ist vor dem Kampf
Die CDU-Kandidatin Stefanie Vogelsang wurde von ihren eigenen Leuten als Stadträtin abgesägt, ein Bundestagsmandat hat sie dennoch fast sicher.
"Geht es der CDU so schlecht, dass Sie jetzt schon selber Flugblätter stecken müssen?" Der Mann hinter dem Gartenzaun im Neuköllner Stadtteil Buckow hat Stefanie Vogelsang erkannt, bevor er einen Blick auf den Werbezettel der CDU-Bundestagskandidatin geworfen hat. Was frotzelig klingt, ist schon ein Erfolg im Straßenwahlkampf - jeder Kontakt gilt als Pluspunkt. Und an diesem Nachmittag haben sich noch nicht viele Gespräche ergeben.
Seit Juli ist Vogelsang zu Fuß im Bezirk unterwegs, "wann immer ich nichts anderes vorhabe". Kiezspaziergänge nennt sie das. Eigentlich hätte die 43-Jährige dazu weniger Zeit gehabt, hätte im Rathaus Neukölln sitzen müssen, als Vizebürgermeisterin und Stadträtin des Bezirks, für den sie nun in den Bundestag will. Die zusätzliche Zeit für den Wahlkampf haben ihr ihre eigenen CDU-Parteifreunde beschert. Die setzten Anfang Juni in einem einmaligen Vorgang im Bezirksparlament ihre Abwahl als Stadträtin durch.
Am 27. September wird der Bundestag neu gewählt. In Berlin gibt es 12 Wahlkreise, die je einen Abgeordneten direkt entsenden.
In Neukölln versucht die SPD, mit ihrem neuen Kandidaten Fritz Felgentreu das zuletzt von Ditmar Staffelt gewonnene Direktmandat zu halten. Staffelt lag 2005 mit 39,3 Prozent knapp vor dem früheren Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU), der auf 36,6 Prozent kam. Für die Union tritt dieses Mal Exstadträtin Stefanie Vogelsang an. Für die Linke kandidiert deren Bezirkschef Ruben Lehnert, für die Grünen die Landesparlamentarierin Anja Kofbinger, für die FDP Andreas Lück.
Die taz hat die spannendsten Kandidaten und Wahlduelle in einer Serie vorgestellt, die mit der heutigen Folge endet.
Direkt nach Abwahl war Vogelsang, im Frühjahr bereits als CDU-Kreischefin geschasst, sichtlich mit den Nerven fertig. Inzwischen aber nutzt sie das Positive der Situation. Sie würde das selbst nie sagen - aber mit Blick auf ihren Wahlkampf war es das Beste, was ihr passieren konnte. Zeit war fortan genug da, den Posten im Bezirksamt hätte sie nach dem Wechsel in den Bundestag sowieso abgegeben. Und auch abgewählte Stadträte erhalten drei Monate lang ihre vollen Bezüge, später einen Großteil davon. Nachdem klar war, dass sie Vogelsang nicht auch noch die Kandidatur nehmen konnten, fraßen ihre Gegner wegen der Bundestagswahl Kreide. "Die CDU Neukölln steht geschlossen hinter Stefanie Vogelsang", war Ende August von ihrem Nachfolger als Kreischef zu hören.
Von der angeblich geschlossenen Neuköllner CDU mit ihren 800 Mitgliedern ist an diesem Nachmittag in Buckow allerdings nicht viel zu sehen. Vogelsang zieht von ihrem Wahlbüro in den Gropius Passagen - "neben Beate Uhse und Deutscher Bank" - mit drei Helfern von der Jungen Union durch die Nachbarschaft. 30 bis 40 vom CDU-Nachwuchsverband seien es insgesamt, die sie unterstützen. Der Kreisvorsitzende, nein, der sei außer bei ihrer Wahlkampferöffnung noch auf keiner ihrer Veranstaltungen gewesen, sagt sie. Letztlich soll das egal sein: "Die, die mich nicht unterstützen, die waren auch früher nicht im Wahlkampf zu sehen."
Im Juli, nur wenige Wochen nach ihrer Abwahl, hatte Vogelsang von zwiespältigen Erfahrungen bei ihren Kiezspaziergängen berichtet. Sie traf Leute, die sie bedauerten und sich mit ihr solidarisierten, aber aus diesem Grund auch auf die CDU schimpften. Inzwischen erzählt Vogelsang so etwas nicht mehr, "das ist zu 99 Prozent bei den Leuten kein Thema".
Das stimmt zumindest an diesem Nachmittag in Buckow. Am Gartenzaun schimpft der frotzelnde Anwohner über Schwarz-Rot, die Wahl zwischen Pest und Cholera und das dröge Kandidatenduell Merkel/Steinmeier. Vogelsang, die ehemalige Gesundheitsstadträtin, stellt ihre Tasche ab und holt sich eine Lucky Strike raus. "Am Anfang war sie blöd, da war sie so zickig den Moderatoren gegenüber", mosert sie über ihre Parteivorsitzende. Sie ist nicht nur in diesem Gespräch eine Freundin des klaren Wortes. Seit 1995 macht die zweifache Mutter in Neukölln Politik, fast durchgängig im Bezirksamt, "und seither bin einer Menge Leute auf die Füße getreten."
Das Bundestagsmandat ist Vogelsang kaum zu nehmen. Wenn es nicht direkt über den Wahlkreis klappt, müsste schon viel schieflaufen, damit sie nicht über die Landesliste der CDU ins Parlament rückt. Der eigentliche Kampf beginnt für sie erst nach der Wahl, wenn sie versuchen wird, in Neukölln wieder an die Spitze ihrer Partei zu kommen. Die CDUlerin wähnt die Mehrheit der Mitglieder hinter sich und wird absehbar versuchen, das bisherige Delegiertensystem zu kippen. Die Landes-CDU unterstützt sie sichtlich - Parteichef Frank Henkel tritt im Wahlkampf gleich mehrfach mit ihr auf. Das ist mehr als Revanche oder Rache, sondern politischer Überlebenskampf: Wenn Vogelsang nicht erfolgreich zurückschlägt, dann ist nach einer Wahlperiode Schluss im Bundestag, dann nominieren ihre innerparteilichen Gegner in Neukölln schlicht jemand anders für die nächste Wahl.
Auf den ersten Blick müsste die SPD von den Wirren bei der Union profitieren, und das sieht auch ihr Kandidat Fritz Felgentreu so. Bei anderen Sozialdemokraten aber kann man auch hören, dass der Mitleidfaktor Vogelsang Stimmen zutreiben wird. Felgentreu, SPD-Chef des Bezirks und Fraktionsvize im Abgeordnetenhaus, kam überraschend zur Kandidatur. Denn bis Ende 2008 war der 41-Jährige wie die ganze Neuköllner SPD noch davon ausgegangen, dass wieder Ditmar Staffelt für sie antreten würde. Der frühere Wirtschaftsstaatssekretär hatte das Mandat seit 1998 dreimal für die Sozialdemokraten geholt.
Doch Staffelt verließ im Januar überraschend den Bundestag und wechselte zum Luft- und Raumfahrtkonzern EADS. Selbst er hatte den Wahlkreis 2005 trotz allgemein guter Ergebnisse für die SPD nur knapp gewonnen, mit 2,7 Prozentpunkten Vorsprung. Ohne Bonus des Mandatsträgers und angesichts der aktuellen Umfragewerte könnte es schwer werden für Felgentreu - und der hat keine Chancen, über die Landesliste in den Bundestag zu kommen.
Privat können die beiden Kandidaten ganz gut miteinander, die Familien haben sich schon vor Jahren über ihre Kinder kennengelernt. So überrascht es nicht, dass persönliche Anwürfe im Wahlkampf ausbleiben - auch wenn Felgentreu schon vor Monaten mehr scherzhalber sagte, die familiären Beziehungen lägen erst mal auf Eis.
Überhaupt stellen beide eine wenig aggressive Stimmung im Wahlkreis fest. Und so scheint es fast logisch, dass am Gartenzaun Diskussionen ausbleiben. Manchmal muss Vogelsang an diesem Nachmittag schon mit viel weniger zufrieden sein. Ja, sie dürfe bei ihm ein Flugblatt einwerfen, raunzt ein anderer Anwohner, "ich halte auch den
Hund zu-
rück."
STEFANIE VOGELSANG, CDU
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!