Vor dem Grünen-Parteitag: Der quälende Sieg
Darf die Partei dem Atomausstieg der Bundeskanzlerin zustimmen? Sie muss, sagt Claudia Roth. Doch viele Mitglieder empfinden das als Verrat am Gründungsmythos.
BERLIN taz | Den schönsten Abend seit langer Zeit hat der CSU-Haudegen Peter Gauweiler Claudia Roth beschert. Es war am Dienstag in der Münchner Gaststätte Nockherberg, das ungleiche Paar redete über den Atomausstieg: "Mich juckt's am ganzen Körper", sagte Gauweiler irgendwann. "Aber man muss sagen, dass die Grünen diese Debatte gewonnen haben." Roth lacht, als sie davon erzählt. Gewonnen. Sagt ein Tiefschwarzer. Vor hunderten CSUlern.
Genau diese Botschaft will die Grünen-Chefin der Republik im Ganzen und den Delegierten des Sonderparteitags im Besonderen vermitteln: Wenn die Grünen der schwarz-gelben Atomgesetznovelle zustimmen, besiegeln sie nicht den Sieg der Atomausstiegs-Kanzlerin. Sondern den eigenen. "Dieser Ausstieg ist der größte Erfolg, den eine Oppositionspartei jemals erreicht hat", sagt Roth in ihrem Büro und wedelt mit einem Lokalzeitungsartikel zum Gauweiler-Treffen.
Es gibt da nur ein Problem: Die grüne Basis ist nicht Gauweiler.
Am Samstag entscheiden die gut 700 Delegierten, ob die Partei Merkels Atomausstieg unterstützt (siehe Kasten). Doch wer sich mit Grünen unterhält, bekommt den Eindruck, dass mehr auf dem Spiel steht. Der Gründungsmythos oder die Regierungsfähigkeit. Mindestens.
Fukushima-Szenario denkbar
Merkels Energiewende: Die Regierung hat ein Maßnahmenpaket vorgelegt, dass aus acht Gesetzen besteht. Das symbolträchtigste ist die Novelle des Atomgesetzes. Sie regelt die sofortige Abschaltung von acht Altmeilern, die stufenweise Abschaltung der anderen Atomkraftwerke bis 2022 und revidiert damit die im Herbst von Schwarz-Gelb beschlossene Laufzeitverlängerung. Die anderen sieben Gesetze regeln zum Beispiel den Ausbau erneuerbarer Energien.
Grünen-Vorstand: In seinem Leitantrag zum Sonderparteitag am Samstag empfiehlt der Bundesvorstand den Delegierten die Zustimmung zum Atomgesetz. Alle anderen Anträge, etwa zu Leitungsnetzen, wollen die Grünen ablehnen, weil sie weit hinter eigenen Zielen zurückbleiben. Während die Koalition beispielsweise für erneuerbare Energien nur einen Anteil von 35 Prozent an der Stromversorgung bis 2020 anstrebt, halten die Grünen deutlich über 40 Prozent für machbar.
Kritik am Vorstand: Mehrere Änderungs- und Alternativanträge fordern rechtssichere kürzere Laufzeiten. Ein Ja zum Atomgesetz sei nur dann denkbar, wenn die Regierung dem grünen Ziel 2017 entgegenkomme, heißt es darin. Die Anträge wurden etwa von der Grünen Jugend, von der Bundesarbeitsgemeinschaft Energie oder linken Grünen um Martina Lammers aus dem Kreisverband Lüchow-Dannenberg formuliert. (us)
Der radikalste Gegenspieler von Roth ist Karl-Wilhelm Koch. Er ist aus der Vulkaneifel angereist, sitzt in einer austauschbaren Hotellobby in Berlin, dicht bedruckte Papiere in der Hand, Lachfältchen und ergrauten Dreitagebart im Gesicht. Er sagt: "Schon bei einem mittleren Störfall im AKW Gundremmingen ist ein Fukushima-Szenario denkbar. So ein Ding noch jahrelang vor der Haustür von München laufen zu lassen ist Wahnsinn." Für Koch zählt jeder Tag ohne Atomenergie.
Deshalb hat er zu Hause einen Alternativantrag für den Parteitag getippt. Koch will den Sofortausstieg. Bis 2013 wäre das Abschalten ohne Probleme technisch machbar, glaubt er. Weil erst die Grünen - mit der SPD als Juniorpartner - die Macht übernehmen müssen, steht 2017 in dem Papier. "Das wäre eine heiße Nummer, aber zu schaffen."
Ein Laie ist der Lehrer Koch nicht. Er hat ein Buch zum "Störfall Atomkraft" herausgegeben und ein Ingenieursstudium hinter sich. Koch, das ist nicht unwichtig, opponiert zwar frontal gegen den Vorstand, vertritt aber eine offizielle grüne Position. 2017, das hatte noch im März der Parteirat beschlossen. "Es ist schon verrückt, wie schnell ich in dieser Frage an den ganz linken Rand gerückt bin."
In der Logik der Parteispitze ist das Klammern an den eigenen Beschluss überholt, ja naiv. "Mit Verlaub, die Grünen sind in der Opposition", sagt Roth. Selbst wenn sie 2013 an die Regierung kämen, würde die Zeit knapp für einen Schnellausstieg, sagt Roth. "Ich will doch nichts in der Opposition versprechen, was ich dann nicht halten kann."
Dahinter steckt eine nüchterne Rechnung: Selbst wenn es 2013 für Rot-Grün reicht, wird die SPD niemals einen schnelleren Ausstieg mittragen. Mehr ist in der Sache also politisch nicht drin, analysiert der Vorstand, lieber will er deshalb die Kanzlerin mit einem starken Kompromiss verhaften. Zumal selbst Grünen-Anhänger laut Umfragen den Ausstieg ganz okay finden.
Eine Prognose für den Parteitag? Schwer zu sagen
Die Zäsur war Merkels Runde mit den Ministerpräsidenten. Anfang Juni ließ sie sich darauf ein, die Kraftwerke schrittweise abzuschalten. Das geht weiter als der 2001 vereinbarte Ausstieg von Rot-Grün. Den hat damals Jürgen Trittin als Umweltminister erfunden. Für ihn muss undenkbar sein, sich sein Baby von Merkel klauen zu lassen. Zusammen mit dem Realo Cem Özdemir drängte er im Vorstand früh auf die grüne Zustimmung.
Roth war zögerlicher. Als Fachfrau für Emotion hat sie den kürzesten Draht zur Basis, sie schätzt Leute wie Klaus-Wilhelm Koch. Eine Prognose zum Ergebnis des Parteitags wagt sie nicht: "Dafür bin ich zu lange bei den Grünen. Das Anstrengende und Wunderbare an der Partei ist ja, dass wir tatsächlich unsere Streite ausfechten."
Die Kritiker mobilisierten zuletzt stark, die Grüne Jugend besetzte in Kreisverbänden systematisch die Delegiertenlisten. Gleichzeitig tingelten die Funktionäre in strapaziösen Touren durch die Städte.
Bärbel Höhn telefoniert am Donnerstag aus dem Zug nach Gorleben. "Es war eher eine harte Woche." Was eher eine Untertreibung ist. Fraktionsvize Höhn besuchte Kreisvorstände, Mitglieder, Anti-AKW-Kämpfer, in Münster, Oberhausen, Aachen, Dannenberg. Und fasst zusammen: "Das waren sehr ruhige und sachliche Diskussionen, das Interesse an Information ist hoch." Viele Mitglieder wüssten gar nicht genau, was im Atomgesetz steht, welchen Punkten die Grünen zustimmen würden. Höhn tippt: In NRW, einem kritischen Verband, steht es 50:50.
Nur die Machbarkeit ist in der Partei strittig
Die Sache ist also offen, und beim Vorstand ist die Erinnerung an Göttingen noch frisch. Göttingen, das war der berühmte Afghanistanparteitag im September 2007. Damals haute die Basis dem Vorstand seinen Kompromiss zu einer Antiterrormission um die Ohren. Droht ein Göttingen II? "Der große Unterschied ist, dass in Göttingen die Meinungen diametral auseinandergingen", sagt Roth. "Bei der Atomfrage ist es anders: Eigentlich sind sich inhaltlich alle einig, nur die Schlussfolgerungen unterscheiden sich."
Dieses Mal geht es nicht um Krieg oder Frieden. Beim Atomausstieg herrscht in der Partei breiter Konsens. Möglichst schnell, das sagen alle, nur die Machbarkeit ist strittig. Roth betont im Gespräch, dies sei kein Oben-gegen-unten-Konflikt.
Bleibt die Frage: Was für einer dann? Während scharfe Worte von der Grünen Jugend kommen und hunderte Basisleute kritischen Anträge unterschreiben, hat sich kaum ein bekannterer Grüner mit Amt oder Mandat klar gegen die Vorstandslinie positioniert. Außer Ströbele. Und wer es doch tut, will entweder nicht zitiert werden oder betont gewunden, wie wunderbar die Analyse des Vorstands aber ganz grundsätzlich sei.
Das hat etwas Verklemmtes. Man ist sich einig in der Funktionärsebene, will sich aber unterscheiden. Dagegen wirkt die CDU wie ein Debattierclub nach fünf Stunden Freibier. Letztlich fragt man sich, ob all das überhaupt so dramatisch ist. Zerreißen wird die Partei, wie es Die Welt am Freitag titelte, an einer Ablehnung sicher nicht. Schwarz-Gelb würde das Gesetz mit der SPD beschließen, nach ein paar Wochen spräche niemand mehr davon. "Außerdem goutieren unsere Wähler sogar, wenn die Basis den Vorstand abwatscht", sagt einer in der Parteizentrale.
Claudia Roth sieht das natürlich anders. In ihrem Büro hängt ein Bild, das sie seit 1985 begleitet. Ein Mädchen steht im Wind, in der rechten Hand hält es eine Fahne. Die Grünen-Chefin redet darüber, so ausführlich, dass man den Gedanken nicht loswird, ihr wäre die Erwähnung in diesem Text nicht unlieb. Roth, eine grüne Jeanne dArc, die die Basis gegen Atom-Merkel führt. Jetzt müssen die Truppen nur noch folgen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe