Vor dem 1. Mai in Berlin: CDU derbe auf Krawall gebürstet
Polizeipräsident Glietsch wehrt sich gegen Kritik am Polizeikonzept durch CDU-Politiker. Für dieses Jahr erwarten die Behörden eine Gewalteskalation zwischen Linken und Rechten
Polizeipräsident Dieter Glietsch hat Kritik an der 1. Mai-Strategie der Berliner Polizei mit "Fassungslosigkeit" zurück gewiesen. "Wer seit Jahren dafür sorgt, dass gegen Gewalttäter mit aller Konsequenz eingeschritten wird, hat kein Verständnis dafür, wenn einer so ein dummes Zeug erzählt", sagte Glietsch am Wochenende. Zuvor hatte der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach angesichts von Krawallen von rechtsfreien Räumen gesprochen. Auch der Berliner CDU-Vorsitzende Frank Henkel hatte das bisherige, auf Deeskalation ausgerichtete Polizeikonzept für gescheitert erklärt. "Wir hoffen, dass Berlins Polizisten nicht wieder so verheizt werden wie im letzten Jahr", hatte Henkel am Sonnabend gesagt. Die Polizisten könnten ihren Job nur gut machen, wenn das Einsatzkonzept der politischen Führung stimmig sei. Das sei vergangenes Jahr nicht der Fall gewesen, wo Warnungen vor Gewaltausbrüchen nicht ernst genommen worden seien. Auch dieses Jahr gebe es "Vorboten" für Gewalt.
Am 1. Mai 2009 war es nach längerer Zeit erstmals wieder zu schweren Krawallen gekommen, bei denen 497 Polizisten verletzt und 289 mutmaßliche Gewalttäter festgenommen wurden. "Die Polizei ist nicht dafür verantwortlich, dass die Zahl der Gewalttäter 2009 doppelt so hoch war wie im Vorjahr", verteidigte sich Glietsch. Der Innenpolitische Sprecher der Grünen, Benedikt Lux, sprach von einem "durchschaubaren Manöver" der CDU - die Kritik an der Deeskalation sei inhaltlich falsch. Auch Innensenator Ehrhart Körting (SPD) stellte sich vor Glietsch und sein Polizeikonzept. "Es gibt keine Alternative zum Konzept der ausgestreckten Hand", stellte Körting in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung klar. Solange Kommunikation möglich sei, bleibe sie "das geeignete Mittel der Auseinandersetzung".
Körting kündigte zugleich an, Gewalttaten aus der linksextremen Szene offensiv entgegen zu treten. Wenn eine Demonstration nur noch aus Gewalt bestehe, habe sie keinen Anspruch mehr, nach dem Versammlungsrecht behandelt zu werden, so Körting. "Dann muss jeder Gewalttäter sukzessive rausgeholt werden."
Für dieses Jahr rechnen die Sicherheitsbehörden mit schweren Ausschreitungen. 40 Demonstrationen wurden zur Walpurgisnacht und zum "Tag der Arbeit" angemeldet. Gegen einen geplanten Neonazi-Aufmarsch in Prenzlauer Berg wird mit massiver Gegenwehr gerechnet. Nicht nur die linke Szene mobilisiert zur Störung der Nazi-Demo, auch prominente Politiker wie Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) und der Linke-Vorsitzende Oskar Lafontaine unterzeichneten einen Aufruf zur Blockade.
Am Kottbusser Tor in Kreuzberg, wo zur Schlusskundgebung der "Revolutionären-1.-Mai-Demonstration" nach 18 Uhr mit einem Zusammentreffen zwischen Demonstranten und Gästen des bezirklichen "Myfests" gerechnet wird, will die Polizei die Kreuzung mit einem Großaufgebot abriegeln. Eine Trennung der beiden Gruppen sei sinnvoll, sagt auch Grünen-Politiker Lux. Für eine Konfliktprävention sei aber weniger sichtbare Polizeipräsenz die bessere Lösung.
Die Staatsanwaltschaft hat indes ihr Personal auf 16 Beamte aufgestockt. Die Justiz solle am 1. Mai "verstärkte Präsenz" beim Bereitschaftsgericht zeigen und der Polizei bei Festnahmen beratend zur Seite stehen, sagte Oberstaatsanwalt Michael von Hagen. Die Leiterin des Berliner Verfassungsschutzes, Claudia Schmid, warnt vor gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Links und Rechts. Schon bei einer für den Abend des 30. April angemeldeten linken Demonstration vor dem rechten Szenetreff "Zum Henker" in Niederschöneweide sei ein aggressiver Auftakt zu befürchten. Das Bundesamt für Verfassungsschutz befürchtet eine erhöhte Gewaltbereitschaft der Rechtsextremen. Diese seien wegen des im Februar durch Gegendemonstranten gestoppten Aufmarsches in Dresden frustriert.
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