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Vor Gericht wegen 400 EuroFrau K., Wolff, Witt und Engels

Eine junge Frau hatte wiederholt unter falschem Namen im Internet eingekauft und wurde wegen Betrugs angeklagt. Jetzt ist das Urteil gefallen.

Auch Hundefutter hat Frau K. unter falschem Namen bestellt. Das Tier hats trotzdem gefressen. Bild: dpa

Marcella K. kommt ohne Anwalt zum Amtsgericht. Aber für den hätte sie eh kein Geld. Und dass sie betrogen hat, man könnte sogar sagen: wieder mal betrogen hat, daran besteht kein Zweifel. Auch wenn der Staatsanwalt von „einer Art Urkundenfälschung“ sprechen wird.

Immer wieder hat sie im Internet bestellt, mal war es Futter für ihren Hund, mal Spielzeug, aber für ihren Freund – Sachen, bei denen sie sich heute gar nicht mehr so genau erinnern kann, was das eigentlich war. Mal kosteten sie 118,62 Euro, mal 48,66 Euro.

Alles in allem steht sie wegen knapp vierhundert Euro vor Gericht, nicht, weil sie die Rechnungen nicht bezahlt hat, das auch, aber vor allem, weil sie unter falschem Namen einkaufte. In der „vorgefassten Absicht, in keinem Fall“ zu bezahlen, wie es in der Anklageschrift heißt. Marcella K. war Sibylle Wolff, war Andrea Witt, war Nathalie Engels. Bekommen hat sie die bestellte Ware gleichwohl.

„Mir war nicht bewusst, dass das so einen Umfang annehmen kann“, sagt K. vor Gericht. Und dass sie, irgendwie, na ja, doch habe zahlen wollen, also: „wenn ich Geld habe“. Zum Beispiel: „Wenn ich irgendwas verkauft habe.“ Oder: „Wenn es Weihnachtsgeld gibt.“

Nirgendwo sind so viele Menschen so überschuldet wie im Haushaltsnotlageland Bremen, sagt die Statistik. So wurden 74 von 100.000 BremerInnen in den ersten drei Monaten dieses Jahres zahlungsunfähig. Das sind zwar deutlich weniger als früher, aber immer noch 34 mehr als im Durchschnitt.

Vor allem Frauen zwischen 18 und 25 Jahren sowie über 60 Jahren haben Schuldenprobleme, sagt der Chef der Wirtschaftsauskunftei Bürgel. Bei den einen ist das rückläufiges Rentenniveau bei den anderen sind Arbeitslosigkeit und Niedriglöhne das Problem. Und gerade bei jüngeren seien Einkommen und Konsumverhalten oft nicht vereinbar.

Zwar hatte K. einen Job, doch in ihrer Ausbildung als Köchin, da bekam sie grad mal 220 Euro im Monat, plus Kindergeld und maximal 56 Euro Ausbildungsbeihilfe. Wie sie damit über die Runden kam? „Meine Mama hat manchmal für mich eingekauft“, sagt die Mittzwanzigerin.

Doch die sei mittlerweile „schwer krank“, und von dem Freund, den sie seinerzeit beschenkte, mit dem sie seinerzeit zusammen wohnte, lebt sie heute getrennt. Weil er „gewalttätig“ war. Heute arbeitet sie in der Systemgastronomie, wie die Fast Food-Branche vornehmer heißt, aber mehr als tausend Euro auf die Hand bringt auch das im Monat nicht ein. Also nur etwas mehr als das Existenzminimum.

Wie oft Frau K. über die Jahre hinweg irgendwo unter falschem Namen eingekauft hat – sie kann das beileibe nicht sagen: „Ich hab, ehrlich gesagt, den Überblick verloren.“ 2010 ist sie jedenfalls schon mal deswegen zu einer Geldstrafe verurteilt worden, damals ging es um Betrug in zwei Fällen, um eine Waage, unter anderem. Vier-, vielleicht fünftausend Euro sind, alles in allem, an Schulden zusammen gekommen. Auch dass kann sie so genau nicht sagen.

Aber ein Schuldnerberater versucht gerade, da Ordnung hinein zu bekommen, aufgelaufene Rechnungen zu sammeln. Auch solche fürs Handy und die SWB sind da noch mit dabei. Und dann habe sie eben, wie sie sagt, auch „immer mal das Problem“, dass sie irgendwas gekauft hat, hinterher aber nicht mehr so recht wusste, was denn damit anzufangen sei. Vor allem dann, wenn es Probleme gab. Vor längerem, sagt sie, wollte sie schon mal zum Psychologen deswegen. Aber die hatten sehr lange Wartezeiten.

Marcella K. kommt an diesem Tag nochmal glimpflich davon, zu 40 Tagessätzen verurteilt sie die Amtsrichterin am Ende, zum Mindestsatz von acht Euro, zahlbar in Raten. Die Angeklagte nimmt sofort an: „Ich hab’s ja gemacht, ich muss dafür grade stehen“, sagt sie in ihrem Schlusswort, dass sie versuche, dass jetzt alles zu regeln.

Und dass ihre Mutter schwer krank sei.

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