: Von unten wachsen
KunstmessenDie brave Art Karlsruhe ist nicht hip, profitiert aber von bürgerlichen Sammlern aus dem Südwesten. Davon könnte Berlin was lernen
„Europe’s leading galleries.“ Kann sich noch jemand an die Arroganz erinnern, mit der das Berliner Art Forum 1996 unter dem Funkturm startete? Ein paar rheinische Galeristen, die des ausufernden Kölner Kunstjahrmarktes namens Art Cologne überdrüssig waren, wollten im Windschatten des Mauerfalls zum großen Sprung in die New Economy ansetzen. Köln, bis dahin Kunsthauptstadt der alten Westrepublik, schnurrte wie ein Luftballon zusammen.
Doch auch das Berliner Prestigeprojekt schrumpfte schnell auf Normalmaß. Nach zwei, drei Ausgaben verschwand die anmaßende Unterzeile, Berlin war zwar sexy, aber bekanntlich arm. Im Jahr 2011 begrub das Art Forum seine Kunstmarktträume im Treibsand des märkischen Prekariats.
Es mutet wie eine köstliche Ironie der Geschichte an, dass ausgerechnet die brave Art Karlsruhe heute relativ besser dasteht als alle Messen, die auf die mythisch aufgeladene „Kreativhauptstadt“ an der Spree spekulierten. „Wir dachten zunächst, der hat nicht alle Tassen im Schrank“, erinnert sich zu Wochenbeginn Karlheinz Schmid, Herausgeber und Chefredakteur der Kunstzeitung auf dem jährlichen Berliner Empfang der Art Karlsruhe, als ihn 2003 der bedächtige Galerist Ewald Karl Schrade bat, beim Aufbau einer Kunstmesse in der badischen Metropole mitzumachen. Das deutsche Feld war dicht besetzt. Was sollte da eine „kleine, gemütliche Messe im Süden“, wie Gérard Goodrow, der damalige, schnell vergessene Chef der Art Cologne ätzte. Inzwischen pilgern gut 50.000 Besucher jeden Februar in die einstige Residenzstadt.
Die Messe im Südwesten, die nächstes Frühjahr zum 15. Mal öffnet, hat den Charme des Biederen und Provinziellen. Die rund 200 Galerien aus elf Nationen, die in diesem Jahr dort ausstellten, ergeben nicht gerade eine Hard-Edge-Leistungsschau wie in Miami oder Dubai: „Entdecken. Lieben. Sammeln“ hieß das treuherzige Motto. In Karlsruhe kaufen Sammler aus der Region solide Hausmannskost: Malerei und Skulptur. Statt Brad Pitt und Beyoncé schauen Udo Lindenberg und Günter Netzer vorbei.
Die Art Karlsruhe ist kein Treffpunkt cooler Hipster, des polyglotten Sammleradels und der intellektuellen Diskurselite, die dort über „Beyond the Art Market“ talkt. Auch wenn in diesem Frühjahr eine Trump-Persiflage in Gestalt einer Magritte-Pfeife Aufsehen erregte. Sie profitiert von den bürgerlichen Sammlern im Dreiländereck Deutschland, Schweiz und Frankreich. Ihr kommt die Nachbarschaft zu Sammlungen wie Grässlin, der Schraubendynastie Würth oder von Frieder Burda in Baden-Baden zugute. Am meisten schätzen die Besucher in den tageslichthellen Hallen die „familiäre“ Atmosphäre. Die Messe zieht so turbulenzfrei ihre Bahn, dass sogar Johann König, Berlins Dernier-Cri-Galerist, seine Teilnahme erwägen soll.
Die Berliner Anläufe zeigten die Grenzen des Top-down-Modells der Kreativwirtschaft. Die Art Karlsruhe wächst aus ihrem Stammpublikum, bleibt aber zugänglich für alle und entspannt. Diese Tugenden würde man auch dem Kunstmarkt wünschen, der im Herbst mal wieder an der Spree aus der Taufe gehoben werden soll. Die dezentrale Art Week, die dem Art Forum folgte, ist eine attraktive Alternative, die das Update zur Messe nicht braucht. Mit ihrer „Art Berlin“ wollen Maike Cruse und Daniel Hug, Chef der bislang mit Berlin konkurrierenden Art Cologne, die edle, aber anämische Galeristen-Selbsthilfe namens Art Berlin Contemporary (ABC) im September beerben. Sie sollten vielleicht das Karlsruher Erfolgsmodell im Auge behalten: Art-Founders do it Bottom-up!
Ingo Arend
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