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Von der Scham des KaufensEtwas gegen Bezahlung erwerben

Kaufen ist heute etwas so Beiläufiges wie atmen, essen und gehen. Gleichzeitig verschwindet das Wort aus unserem Vokabular, als wäre es unanständig.

Wir werden nicht bedient, sondern bedienen eine Maschine und uns selbst: Kaufen am Automaten. Bild: dpa

Meine Mutter zum Beispiel. Ihr Kaufverhalten hat etwas rührend Altmodisches, sie ist als Arbeiterkind in der Nachkriegszeit aufgewachsen und konsumiert anders als ich. Zwei- oder dreimal in der Woche geht sie groß einkaufen und versorgt sich mit allem Lebensnotwendigen. Wenn sie länger unterwegs ist, schmiert sie sich eine Stulle, packt sie in eine Brotdose und nimmt sie als Proviant mit.

Ein einziges Mal hat sie sich Kaffee in einem Pappbecher mitgenommen, weil sie das immer im Fernsehen sieht. Es ist bei diesem einen Versuch geblieben. Sie kann sich damit nicht anfreunden. Es passt nicht in ihr Konzept von Konsum. Konsum ist für sie nichts Beiläufiges, Selbstverständliches, sondern etwas, dem sie Aufmerksamkeit widmet. Keine Hilfshandlung, sondern eine Handlung, die für sich steht.

Sie würde nie sagen, sie habe etwas „geholt“, wenn sie etwas gekauft hat. So wie man das heute tut, so wie man heute das Wort „kaufen“ aus seinem Vokabular verschwinden lässt. Als wäre es etwas Unanständiges. An seine Stelle treten Euphemismen. Wörter, die verschleiern, was offengelegt wird, wenn wir „kaufen“ sagen. Die frei sind von allen unangenehmen Gedanken, die wir haben könnten, wenn wir von „kaufen“ sprechen.

Bestellen, anschaffen, holen, liefern lassen

Gerade, wenn wir jung sind, eigentlich wenig Geld haben und unsere nicht wirklich riskante Armut zum Coolness-Faktor erheben, schaffen wir uns verschämt etwas an, manchmal leisten wir uns sogar etwas. Wir bestellen, lassen uns etwas liefern oder kommen. Wir sagen: „Ich werde mir das holen“ oder „Ich habe das mitgenommen“. Dabei wird ständig und überall gekauft. Ladenöffnungszeiten? Fast immer. Und für die Stunden dazwischen gibt’s Automaten.

Bild: taz
sonntaz

Diesen und viele andere spannende Texte finden Sie in der sonntaz vom 9./10. Februar 2013. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Für Fans und Freunde: facebook.com/sonntaz.

Parkscheinautomaten. Kaugummiautomaten. Kondomautomaten. Briefmarkenautomaten. Zigarettenautomaten. Getränkeautomaten. Ticketautomaten. Automaten, aus denen man getragene Schulmädchen-Unterhosen ziehen kann und Automaten, die Steinofenpizza backen. In drei Minuten. An Automaten kaufen wir nicht, an Automaten drücken wir Knöpfe. Wir werden nicht bedient, sondern bedienen eine Maschine und uns selbst.

Automaten sind Regale, die mitten in der Stadt stehen. Wir bewegen uns durch den öffentlichen Raum, als wäre er unsere Wohnung. Alles, was wir sehen, gehört uns. Keine Mauer trennt uns von unseren Begehrlichkeiten. Sie sind unbewacht. Auch wir sind unbewacht, kein kritischer Blick mustert uns, wenn wir etwas Ungesundes, unvernünftig Teures oder anderweitig Fragwürdiges kaufen. Unsere Wünsche drängen nackt an uns heran.

Jeden Tag und vierundzwanzig Stunden

Der Kaufakt, den moralische Hemmungen verhindern könnten, muss also automatisch ablaufen. Kaugummiautomaten für naschende Schulkinder. Spielautomaten für Einsame. Zigarettenautomaten zur Pflege des routinierten Verlusts an Selbstkontrolle. Aber bitte jetzt sofort, und bitte jeden Tag vierundzwanzig Stunden, sieben Tage die Woche. Auch an Weihnachten und Silvester. Ganz besonders dann. Jeder kann sich etwas nehmen.

Wann habe ich zuletzt Geld abgehoben? Ich weiß es nicht mehr. Meine Bank hat keine Filialen. Ich ziehe das Geld aus Automaten. Ich unterschreibe Kreditkartenquittungen oder mache Dinge mit meinem Laptop, die sich auch nicht anders anfühlen, als E-Mails zu verschicken. Dann wandert mein Geld von mir zu denen.

Das Geld wandert, das weiß ich. Aber welche Wege nimmt es? Ich spüre seine Anwesenheit, ich spüre seine Abwesenheit, aber ich sehe es nicht. Später bekomme ich Pakete, oder aber Dateien, die mich berechtigen, irgendwann irgendetwas zu tun. Das Kaufen ist uns zur Selbstverständlichkeit geworden. Wir atmen, wir essen, wir gehen, wir kaufen. Wir sind privat, wenn wir uns in der Öffentlichkeit bewegen, wir sind öffentlich, wenn wir uns im privaten Raum bewegen.

Das Einkaufszentrum in der Stadt meiner Kindheit hieß Kaufhof. Den Kaufhof gibt es mittlerweile nicht mehr, das neue Einkaufszentrum trägt den sinnfreien Namen „Varena“. Wir verdrängen den Kaufakt aus der Sprache. Und wenn wir ihn nicht negieren, machen wir ihn so überdeutlich, dass wir ihn wenigstens romantisieren können. Kaufen geht nur noch mit Ironie.

Der Mantel kam mit einer Karte. Handgeschrieben

Ein Berliner Modeversand heißt „Kauf dich glücklich“. Letzten Winter habe ich dort einen Mantel bestellt. Keinen ironischen Mantel, sondern einen, der gut aussieht und mich wärmt. Der kam mit einer handgeschriebenen Postkarte, auf der stand: „Lieber Andreas, ich hoffe, dass du viel Freude mit deinem neuen Mantel hast! Herzliche Grüße nach Wien, Vanessa“. Ich war peinlich berührt. Warum war so eine freundliche Postkarte im Paket? Ich kenne die nicht, die kennt mich nicht. So hat die Nettigkeit keine Bedeutung. Sie ist nicht persönlich gemeint. Ich wollte mir keine Freunde kaufen und kein gutes Gefühl. Nur einen Mantel.

Das „Kaufhaus des Westens“ ist ein Relikt aus vergangenen Zeiten. Heute wollen wir nicht mehr den Westen kaufen. Was wir kaufen wollen, liegt ganz nah bei uns. Eigentlich ist das unser Glück. Aber Glück kann man nicht kaufen, das wissen wir. Also nennt sich der Modeversand „Kauf dich glücklich“. Das zeigt uns, dass die das auch wissen. Und dann dürfen sie auch versuchen, uns ein bisschen Glück zu verkaufen. Sie tun mal so, als ob sie könnten. Es ist ein Spiel, nicht ernst gemeint. Du wirst trotzdem etwas glücklicher? Cool!

Wir sagen nicht mehr kaufen, weil wir nicht mehr kaufen wollen. Uns ist schon klar, dass Werbung keine Produkte verkauft, sondern Gefühle. Es ist uns auch klar, dass wir eigentlich Gefühle wollen. Also schämen wir uns, wenn Geld fließt. Wie ein Freier, der eine Prostituierte für Sex bezahlt, aber auf Liebe hofft.

Eine Baumwolltasche mit dem „Kauf dich glücklich“-Logo war auch im Paket mit dem Mantel. Die habe ich meiner Mitbewohnerin geschenkt. Sie hat sich darüber gefreut und findet sie völlig ironiefrei gut. Sie ist sehr diszipliniert. Wenn sie sich etwas kauft, weiß sie, was sie dafür getan hat. Es macht sie glücklich, das erreicht zu haben, was sie wollte. Daher ist Kaufen für sie in Ordnung.

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13 Kommentare

 / 
  • KI
    Konsum ist Pflicht

    die meisten kommen nicht in die Verlegenheit, sich Kaufen als etwas erstrebenswertes vorzustellen.

    Wer mal richtig darüber nachdenkt, will meist lieber in der Sonne liegen und dösen statt auf dem Smartphone rumzudaddeln.

    In unserer Gesellschaft ist für 99% (natürlich die, die weniger haben als das letzte 1%) Konsumieren Pflicht und Statusrelevant und frisst das Leben auf.

    Deshalb der verschämte Umgang damit.

  • SS
    Sam Stoned

    Interessant die Kommentare von Anne und Bouleazero. Ich kann beiden nur beipflichten: Ein guter Kauf ist immer wie ein Geschenk, wenn man das bekommt, was man will. Ich war Kaufmann und kannte auch die längerfristige Begeisterung eines "Käufers", nicht nur den kurzen, eingeredeten Kick.

    Ich habe vor bald 25 Jahren diesen Beruf mit Inbrunst gelernt, und auch damals kam das Wort "kaufen" nicht wirklich oft vor.

    Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, daß das Wort "kaufen" nur benutzt wird, wenn man das Erworbene nicht braucht.

    Ich habe jetzt nicht nachgesehen, ob der Autor älter ist als ich, aber wenn nicht, dann hat er eventuell in seiner Kindheit nicht so zugehört.

    P.S.: Ich will mir die Arbeit jetzt nicht machen, aber in welchem Jahr gab es wohl den letzten national (um den Dorfschlächter mal außen vor zu lassen) ausgestrahlten Werbespott, der so wie: Kaufe (Produktname)! klang?

  • AK
    Andreas Kiener

    @Anne Stickel

    Danke für diese schöne Beobachtung aus Kolumbien!

     

    @also

    Sie werden's nicht glauben: Mit Synonyme fallen mir immer genug ein. Ich muss allerdings manchmal Disziplin aufbringen, um nicht jedes auch zu verwenden.

  • MM
    Markus Müller

    Sehr schöner Artikel,für solche Artikel steht die "taz" und deshalb ist sie mir wichtig.

    Reflektieren ist nicht die Stärke jeder Zeitung,manche bilden ja lieber Meinungen;-)

  • M
    Michael

    deshalb lese ich TAZ

  • AS
    Anne Stickel

    Beim Mittagessen erzählte ich meinem Mann von dem Verschwinden des Wortes "Kaufen" aus dem deutschen Sprachwortschatz. Wir sassen in einem kleinen Einkaufszentrum im Centro Popular in Medellin, wo wir wohnen, beim Mittagessen. Um uns herum Rummel, Menschentrubel, ein fröhlicher Lärmpegel und Menschen, die uns grüssten, uns kannten. Die Teller selber waren gut gefüllt, denn wir bestellen öfter, und werden gerne bedient. Im Departamento Antioquia ist das Essen gut und der Service noch besser.

     

    Mein Mann - Kolumbianer, Paisa - guckte um sich, hlte aus und erklaerte: HIER gibt es das Wort "kaufen" erst seit Kurzem. Hier kannst Du bei jedem der Läden sagen: "Schenk´ mir einen Kaffee", "schenk´ mir doch bitte dieses oder jenes Gericht zum Mittagessen" oder "würden Sie mir drei Bananen und zwei Papayas schenken?".

     

    Das war auf dem Land so und ist heute auch in der Stadt häufig so. Die angesprochene Person erwidert dann mit einer Grosszuegigkeit, dergleichen kaum zu finden ist, "pero claro", aber sicher, und sucht das Beste raus, was sie hat. Und ich bezahle selbstverstaendlich, aber eigentlich habe ich ein Geschenk erhalten, denn die Persone, die hat, was ich moechte, gibt es mir so.

     

    In der Sprache, hier in Antioquia, kommt das Wort "kaufen"/comprar gerade erst auf ... aber in der mitmenschlichen Wirklichkeit ist das "regalar", das "Schenken" und die Grosszuegigkeit das verbindende Element. Und die Leute sind froehlich, liebenswuerdig, und das Leben unbezhalbar "wert"voll!!!

  • K
    kaap

    klassische früher war alles besser Schiene.

  • JS
    junge sozialökonomin

    total cooler artikel, auch gar nicht wissenschaftlich schwer, trotz ökonomischer Relevanz. Weiter so!

    PS "jüngere Generation" merkt es sehr wohl.

  • A
    also

    ich lese hier nur die verärgerte rationalisierung eines mittelmäßign autoren, dass anderen leuten synonyme einfallen und ihm nicht. und von den paar studienräten als lesern wird das natürlich bejubelt.

  • B
    Bouleazero

    Absurd. wir haben schon immer 'holen' gesagt, wenn wir einkaufen gegangen sind. und all die Automaten gab es schon vor vierzig Jahren oder noch länger. kein mensch schämt sich, wenn er 'kaufen' sagt - aber der Artikelschreiber anscheinend doch.

    ich hätte es interessanter gefunden darüber zu schreiben, WAS man so kauft. unsere Kaufentscheidungen sind derart massiv durch die Werbung gesteuert, dass ich es schon fast peinlich finde, wenn mir einer stolz sein neustes XYZ-Produkt vor die Nase hält. Im Glauben mich durch diese Anschaffung begeistern oder beeindrucken zu können. es wird soviel überflüssiger Ramsch gekauft, dass man sich nicht wundern muss, wenn die Umwelt dabei zu Grunde geht. Die Stones haben uns das schon vor fünfzig Jahren eingehämmert (I can't get no satisfaction!!!). Lernt man das heute nicht mehr?

  • F
    Flo

    Klasse Artikel!

    Ich fragte mich schon öfter, was dieses umschreiben soll, wenn jemdand sagt: "er habe sich z.B. ein Iphone geholt".

    Ist es den Leuten peinlich, dass sie für eine Leistung, die andere Menschen erbracht haben, Geld bezahlen müssen. Geld, welches sie selbst wiederum erst erarbeiten mussten.

    Vielleicht wird der Konsum dadurch zu etwas zu Banalem - und verliert dadurch seine glücklich machende Wirkung.

    Ich finde "Kaufhof" allemal ehrlicher als "apple store".

  • P
    peter

    "Beiläufig wie atmen"

     

    Ein schönes Dokument dazu, wie sinnlos wir unser Leben machen. Und die jüngere Generation merkt es nicht einmal.

  • M
    mali

    Ein Artikel, für den ich mir die taz-Paywall gewünscht hätte.