: Von Spartakiade– zu Olympiasiegern
■ Das „Sportgeheimnis“ der DDR - Kinder– und Jugendwettkämpfe in Leipzig
Von Ingomar Schwelz
Die Ehrung trägt olympische Züge: Ein Funktionär streift Anke die Goldmedaille um den Hals, drückt ihr eine rosarote Rose in die Hand. Vom Siegespodest winkt die Blondine den Zuschauern im Leipziger „Stadion des Friedens“ zu. Anke Wöhlk ist die schnellste 16jährige der DDR, eine Spartakiadesiegerin zum Vorzeigen. Mit 12,20 Sekunden hat sie auf der Aschenbahn die Konkurrenz über die 100 Meter klar distanziert. „Dabei sind eigentlich die 400 Meter meine Lieblingsstrecke“, sagt sie später strahlend. 900mal wurde in der vergangenen Woche in Leipzig goldenes Metall an die besten Nachwuchssportler des Landes verteilt. Das Motto der 11. Kinder– und Jugendspartakiade kennt jeder der DDR–Jungathleten: „Spartakiadesieger heute - Olympiakämpfer morgen“. In der Weltsportnation DDR ist das mehr als ein hingepinselter Spruch. Hier scheinen sportliche Triumphe programmierbar zu sein. Auf dem 11. Parteitag der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) im April vergangenen Jahres hatte Staatsratsvorsitzender Erich Honecker stolz bilanziert, daß seit 1981 DDR–Sportler „bei olympischen Spielen, bei Welt– und Europameisterschaften sowie bei den Weltcup– und Europacupwettbewerben 911 Medaillen“ errangen, „davon allein 355 in Gold“. Inzwischen sind es wieder einige mehr geworden, und Athletinnen wie die Rostockerin Anke Wöhlk sollen auch in Zukunft den Lorbeer für die DDR ergattern. Rundumbetreuung Heimstätten der künftigen DDR– Olympiasieger sind die 21 Kinder– und Jugendsportschulen (KJS) zwischen Ostsee und Thüringer Wald. Anke Wöhlk war 13 Jahre, als sie mit Zustimmung ihrer Eltern in die Rostocker Ausbildungsstätte für die nachwachsende Sportelite „delegiert“ wurde. „Als ich zehn war, sind Talentsucher erstmals auf mich aufmerksam geworden“, erzählt sie. Von diesem Moment an wurden ihre Leistungen regelmäßig aufgezeichnet. Sportmediziner vermaßen ihren Körper, um festzustellen, für welche Sportdisziplin sie besonders geeignet ist. „Bei der Größenbestimmung haben sie sich um zwei Zentimeter geirrt“, berichtet die 1,69 Meter große Anke. Frühzeitige Talentbestimmung und eine Rundumbetreuung in medizinischer, sozialer und trainingsmethodischer Hinsicht, gekoppelt mit einem „sportwissenschaftlichen Forschungsvorlauf“, haben nach Ansicht des Präsidenten der Gesellschaft für Sportmedizin der DDR, Professor Kurt Tittel, die DDR im internationalen Sport auf die Überholspur gebracht. Auf die Frage, was denn das Sportgeheimnis der DDR sei, meint er: „Die lückenlose Nachwuchsförderung, die Langfristigkeit der Trainingsplanung und das tägliche Tätigsein am Mann“. Anke ist wie ihre 22 Mitschüler in der Leichtathletikklasse mit wöchentlich rund 60 Ausbildungsstunden belastet. „Drei Stunden Schule, zwei Stunden Training, Mittagessen, zwei Stunden Schule, zwei Stunden Training“, so schildert die junge Läuferin ihren Tagesablauf bis 18.00 Uhr. Dazu kommen noch die Teilnahme an zentralen Sportfesten und Meisterschaften sowie regelmäßige Normüberprüfungen. Wer den Anforderugen nicht gewachsen ist, muß die Schule wieder verlassen. „Nur zehn bis 20 Prozent bleiben bis zum Abschluß in ihren Sportklassen“, erläutert der Direktor der Jenaer Eliteschmiede, Gerhard Rössler. Für diese Auslese bleibt der Traum vom Olympiasieg, vom internationalen Lorbeer: „Das sind dann unsere Superathleten.“ Nachwuchsprobleme Die Schule nimmt Rücksicht auf die nichtsportliche Entwicklung der Jugendlichen. Die meisten können ihre Prüfungen in den philosophischen, sprachlichen und naturwissenschaftlichen Fächern ablegen, wenn es ihr Trainingsplan gerade zuläßt. So machte die Musterschülerin und Eiskunstlaufprinzessin der DDR, Katerina Witt, erst mit 21 Jahren das Abitur in der Karl–Marx–Städter Talenteschule. Einige noch nicht abgelegte Prüfungen darf die Olympiasiegerin sogar auf der Schauspielhochschule in Ostberlin nachholen. Für Anke Wöhlk wäre es ein „Schlag“, würde sie vorzeitig aus der Sportschule ausscheiden müssen. Natürlich habe sie nicht so viel Freizeit wie andere Mädchen ihres Alters, doch das sei schließlich alles Einteilungssache. „Spaß und Ehrgeiz“, das seien ihre Motive, das harte Training auf sich zu nehmen. Die Möglichkeit zu reisen und finanzielle Vorteile sind Anreize, die später stärker in den Vordergrund rücken. Wenn Anke die geforderte Leistung bringt, darf sie in diesem Jahr zu den „Jugendwettkämpfen der Freundschaft“ nach Kuba fahren. Wenn Anke die Reifeprüfung schafft, braucht sie sich um ihre Zukunft nicht zu sorgen: Dann ist sie nach Ansicht der Funktionäre eine „allseits gefestigte sozialistische Persönlichkeit“. Das Abitur ist für alle Sportler die beste Basis für eine Karriere im Staatsapparat. Trotz vieler Vorteile ist die Bereitschaft vieler Eltern gesunken, ihre Kinder dem Hochleistungssporttraining auszusetzen. Nach Ansicht von Professor Tittel ist hier „eine Stagnation“ festzustellen. Viele Sportfunktionäre fürchten eine Einbuße der internationalen Spitzenposition des Sportlandes DDR.
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