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Von Disney lernen

■ Pionier im eigenen Land: Andrew Ross über sein Jahr in Disneytown „Celebration“

Vielleicht war es Alan Sokal und gar nicht Walt Disney mit seiner „Experimental Prototype Community of Tomorrow“ (Epcot), der Andrew Ross Ende 1996 auf die Idee brachte, das folgende Jahr in Florida zu verbringen. Denn bevor sich Ross, der an der New York University das American-Studies-Programm leitet, aufmachte, in „Celebration“ die neueste amerikanische Urbanistenutopie im Selbstversuch zu durchleben, war er als einer der Herausgeber von Social Text in die Kritik geraten.

Dieser Zeitschrift hatte der Physiker Alan Sokal einen Aufsatz untergejubelt, der die Anschlussfähigkeit der postmodernen Diskursanalyse für naturwissenschaftliches Denken behauptete. Leider entging den Herausgebern, dass es sich dabei um eine satirische Abrechnung mit dem Poststrukturalismus handelte. Sokals „Science War“, die behauptete Inkompetenz geisteswissenschaftlicher Auseinandersetzung mit den Naturwissenschaften, erreicht nun als Buchtitel „Eleganter Unsinn – Wie Denker der Postmoderne die Wissenschaften missbrauchen“ auch Deutschland.

In den USA wiederum erschien gerade Andrew Ross' Untersuchung über sein Jahr in „Celebration“. Derzeit leben etwa 2.500 Menschen in dem 1995 von der Disney Corporation gegründeten Ort, der einmal 20.000 Einwohner haben soll. „Celebration“, das ist noch mal Pionier sein im eigenen Land; noch einmal die Urgemeinde gründen, in der die Gemeinschaft über die Gesellschaft triumphiert, wie Judy Ziffer Andrew Ross erklärt, indem sie tatsächlich Ferdinand Tönnies zitiert.

Freilich, die bösen Postmodernen haben auch hier schon vorgebaut: Michael Graves das Postamt, Cesar Pelli das Kino, Robert Stern das Gesundheitszentrum und Philip Johnson die Stadthalle. Da ist es natürlich interessant zu erfahren, dass es gar nicht Venturi/Scott Browns berühmtes „Learning from Las Vegas“ (1972) war, sondern Charles Moores Lernen von Walt Disney, zu dem er sich in einem 1965 veröffentlichten Aufsatz bekannte, das die Idee der Mainstreet-Architektur aufbrachte. Robert Stern, Herausgeber der Yale-Zeitschrift Perspecta hatte den Text propagiert. So erklären sich die tieferen Zusammenhänge von „Celebration“ zu Walts Epcot-Plänen.

Die Bewohner selbst leben in viktorianisch anmutenden Häusern oder in Villen im Kolonialstil des Südens; unerlässlich sind in jedem Fall die weißen, säulengeschmückten Balkonvorbauten, die Platz für den notorischen Schaukelstuhl vor der Haustür bieten. Diese Idylle lässt es zu einem erklärten Ziel der „Celebrationites“ werden, sich selbst und der Welt zu beweisen, „dass dies ein realer Ort mit realen Problemen ist“. Ein Ziel, das sich leichter erreichen ließ, als vielen lieb ist. Die überteuerten Häuser erwiesen sich als schlecht gebaut und nur dürftig mit Kommunikationstechnik ausgestattet; vor allem entsprach aber die reformorientierte Schule, für deren kostenlosen Besuch viele Celebrationites die höheren Immobilienpreise akzeptiert hatten, nicht den Erwartungen der Eltern. Disney sah sich daher plötzlich mit dem Entstehen eines Ortsgeistes konfrontiert, wie er nicht erwartet worden war.

Über den Prozess der Gemeindebildung, die Hintergründe des amerikanischen New Urbanism, die Auseinandersetzung um öffentlichen versus privaten Raum und das Leben mit und gegen den Konzern liefert Ross eine lesenswerte, ebenso amüsante wie solide Recherche. „Sicher haben wir noch Probleme“, zitiert Ross einen Anwohner, „aber hier ist einfach der bessere Ort, um Probleme zu haben.“ Brigitte Werneburg

Andrew Ross: „The Celebration Chronicles. Life, Liberty and the Persuit of Property Values in Disney's New Town“. Ballantine Books 1999. 352 Seiten. 26 Euro

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