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Von Anwälten, „Zeitbomben“ und „Perversen“

■ Am Mittwoch abend diskutierten Strafverteidiger das neue Bremer Therapieangebot für Vergewaltiger / Provisorische Beratungsstelle besteht seit November / Vorsitzender Richter im Gegensatz zu Anwälten sehr angetan

Beim Stichwort „Therapie für Vergewaltiger“ fällt interessierten BremerInnen meistens noch immer als erstes das „Hamelner Modell“ ein. Die wenigsten haben bisher registriert, daß es seit Anfang November auch ein „Bremer Modell“ gibt: Eine provisorische Beratungsstelle, in der Therapieangebote gemacht werden für „sexuell Delinquente“. Dieses Zentrum entstand aus einer zweijährigen Weiterbildung für PsychologInnen an der Volkshochschule. Derzeit arbeiten acht SexualtherapeutInnen - drei Frauen und fünf Männer auf Honorarbasis, sprich: provisorisch mit den bisher insgesamt 19 Therpie-Suchenden. Förderanträge, die der Kriminologe Lorenz Böllinger an das Bundesfamilienministerium gestellt hat, sind noch nicht bewilligt, Verhandlungen mit den Krankenkassen und dem Landessozialamt über eine Übernahme der Therapiekosten noch nicht abgeschlossen.

Am Mittwoch abend stellte sich das „Forum für angewandte Sexualwissenschaft e.V.“ dreißig interessierten AnwältInnen in der Villa Ichon vor. Eingeladen hatten die Bremer Strafverteidiger-Initiative und der Anwaltsverein. „Keine Heilserwartungen“, so warnte der Rechtswissenschaftler Lorenz Böllinger, dürften an das neue Angebot gestellt werden. Stichwortartig zählte er auf, was er sich dennoch von dem, von ihm mitgegründeten Zentrum verspricht: Eine bessere Versorgung der Delinquenten, eine verminderte Rückfallquote. Weiterhin: „Ein Stück Entkriminalisierung, wie z.B. schnellere Entlassungen oder ambulante Maßnahmen, Humanität. Und Kostenersparnis.“ Böllinger nannte auch die Probleme, die er mit der Einrichtung hat: „Was wir ins Auge fassen, ist eine Art von Zwangstherapie“. Nur durch „sanften Druck“ wie Bewährungsauflagen oder informelle Vereinbarungen, werde der Delinquent dazu gebracht, mit der Beratungsstelle in Kontakt zu treten. Als weiteres Problem sah Böllinger „Vereinnahmungen durch Anwälte“ voraus.

Der Therapeut Helmut Küpper skizzierte die bisherige Arbeit: „Wir bieten psychoanalytisch orientierte, ich -stützende Einzeltherapien an. Grundlage ist eine von Vertrauen getragene therapeutische Beziehung.“ Diese werde in Frage gestellt, sobald die TherapeutInnen Bescheinigungen ausstellen müßten, die

über Strafzumessung, Vollzugslockerung oder vorzeitige Entlassung entscheiden sollten. Ganz undenkbar sei eine vertrauensvolle therapeutische Beziehung, solange der Klient sich noch im geschlossenen Vollzug befinde, da er dann die TherapeutIn zwangsläufig mit dem repressiven Anstaltssystem in Verbindung bringe. - Ein Umstand, der in letzter Konsequenz bedeutet, daß diejenigen Sexualstraftäter, die sehr lange Freiheitsstrafen zu verbüßen haben, höchstens am Ende einer langen Knastkarriere von dem therapeutischen Angebot Gebrauch machen könnten.

Dankbar und fast schon enthusiastisch bekannte sich aus dem Publikum der Vorsitzende Richter am Landgericht, Kurt Kratsch, zu der neuen Beratungsstelle: „Die Strafjustiz hat sich bisher immer als Lückenbüßer gefühlt. Regelrechte Psychotherapien suchen wir schon seit Jahren. - Hier haben wir doch was. Was Neues, was Besseres. Das ist doch was.“ Der Staatsanwalt für Vergewaltigungsdelikte, Hans-Henning Hoff, der zum 1. April auf dem Posten des Leiters der

Strafanstalt Oslebshausen wechseln will, pflichtete Richter Kratsch bei: „Wir müssen uns mehr einfallen lassen als bisher. Und wir müssen bereits im Voll

zug damit anfangen.“

Bei den Juristen-Kollegen von der Anwaltschaft dagegen hielt sich die Begeisterung über das neue Angebot für die „Perver

sen“, die „Zeitbomben“ in Grenzen. Ein Strafverteidiger: „Bei uns Anwälten geht es mehr um taktische Fragen. Z.B. darum, ob wir dem Mandanten sagen kön

nen: Es könnte für Dein Strafmaß wichtig sein, wenn Du eine Therapie machst.“

Sein Kollege Erich Joester: „In der Kanzlei bin ich zunächst mit der Frage konfrontiert: „'War er's oder war er's nicht?‘ Denn meistens bestreiten diese Mandanten die Tat uns gegenüber ordentlich. Da kommt man als Anwalt schon mal in die Situation, ein Geständnis herauszupressen.“ Die BeraterInnen lehnten es allerdings einhellig ab, Anwälten bei dieser Art der „Wahrheitsfindung“ behilflich zu sein.

Erich Joester war es auch, der aus der Sicht des Verteidigers die Unterscheidung traf zwischen dem „Gelegenheitsvergewaltiger“ , der keine Therapie brauche und dem behandlungsbedürftigen „Perversen“. Den „Gelegenheitsvergewaltiger“ charakterisierte er an anderer Stelle: „Der Mann, der sich für unwiderstehlich hält, sich über die Interessen der Frau hinwegsetzt und eine Vergewaltigung begeht“. - Formulierungen, die sich in der Nähe des „Kavaliersdeliktes“ bewegten, aber nicht auf Widerspruch stießen.

B.D.

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