: Vom Dunklen ins Helle
■ Nur in England zu sehen: "Rhapsodies in Black: Art of the Harlem Renaissance", Werke der afroamerikanischen Künstlerbewegung in der Hayward Gallery
„Blues“ – treffender könnte kein Titel für Archibald J. Motley Jr.s Gemälde von 1929 sein. In seiner dichten Komposition tanzen elegant gekleidete Paare zur Musik einer Jazzband, während im Hintergrund geflirtet und getrunken wird. Wie durch eine Glasscheibe wird dem Betrachter Einblick in das farbenfrohe Nachtleben des „Jazz Age“ gewährt. Doch im Gegensatz zur weitläufigen Vorstellung der zwanziger Jahre, geprägt durch weiße Figuren wie das Schriftstellerehepaar F. Scott und Zelda Fitzgerald, sind in Motleys Gemälde alle Akteure schwarz.
Motleys Werk – insgesamt sind sieben Bilder des afroamerikanischen Künstlers ausgestellt – nimmt eine zentrale Rolle ein in der Retrospektive „Rhapsodies in Black: Art of the Harlem Renaissance“, die bis zum 17. August in der Londoner Hayward Gallery zu sehen ist. Erstmals widmet sich somit eine große Ausstellung in Europa der Kunst der Harlem Renaissance, der afroamerikanischen künstlerischen Bewegung der zwanziger Jahre. Die Harlem Renaissance wurde bis in die achtziger Jahre selbst in den USA weitgehend ignoriert – zu Unrecht, denn ebenso wie die schwarze Musik dieser Epoche ist die schwarze Kunst der zwanziger Jahre ein unverzichtbarer Bestandteil der Moderne und diese wichtige Retrospektive somit kein Akt von Political Correctness.
Von der Jahrhundertwende bis in die Zwanziger hinein hatte sich der ehemals weiße New Yorker Stadtteil Harlem durch stetige Migration in eine schwarze Metropole, eine eigene Stadt innerhalb Manhattans, verwandelt. Harlem wurde so zum Mekka des New Negro, wie der neue, urbane und selbstbewußte Afroamerikaner nun genannt wurde. Die Atmosphäre in dieser ersten afroamerikanischen Metropole, in der viele weitab von der Lynchjustiz des Südens ihre Chance sahen, ihr Schicksal selbst zu bestimmen, lockte auch zahlreiche junge Autoren und bildende Künstler an. Mitglieder der schwarzen intellektuellen Elite wie der Schriftsteller und Soziologe W.E.B. Du Bois und der Philosophieprofessor Alain Locke hielten die Gelegenheit für günstig, diese Talente in einer künstlerischen Bewegung – der New Negro Renaissance – zu bündeln. Die Epoche, die heute allgemein als Harlem Renaissance bezeichnet wird, war eingeläutet.
Der Geist dieser Bewegung wird vielleicht am besten im Werk von Aaron Douglas (1899–1979) eingefangen, dessen Gemälde die Geschichte des schwarzen Amerikaners von Afrika über die Versklavung bis hin zum modernen Stadtleben thematisieren. „Aspirations“, eines von fünf ausgestellten Bildern des Malers, verdeutlicht Geschichtsbewußtsein und Fortschrittsglauben zugleich: Während sich im dunklen unteren Teil des Werks mit Ketten gefesselte Hände nach oben strecken, blicken und zeigen in der Mitte des Gemäldes drei Silhouetten, ausgerüstet mit Symbolen der Wissenschaften (Buch, Zirkel und Reagenzglas) auf eine hell erleuchtete Großstadt, symbolisiert durch Hochhäuser und Fabrikschlote. Der Weg vom Dunklen ins Helle, vom Land in die Stadt, von Sklaverei in eine selbstbestimmte Zukunft und damit der Weg des New Negro wird so in Douglas' Werk verkörpert.
„Rhapsodies in Black“, vom amerikanischen Kunsthistoriker Richard Powell und vom Briten David A. Bailey zusammengestellt, interpretiert die Harlem Renaissance nicht als zeitlich und räumlich isoliertes Phänomen. So können die Gemälde des Chicagoers Motley (1891–1981) ebenso hervorgehoben werden wie der nach der eigentlichen Renaissance enstandene Bilderzyklus des heute 80jährigen Jacob Lawrence zum Leben des schwarzen haitianischen Revolutionärs Tousaint L'Ouverture (1937/38).
In die von den Kuratoren gewählte Perspektive paßt zudem gut, daß die Ausstellung multimedial angelegt ist. So wird ein Ausschnitt vom erst in diesem Jahrzehnt wiederentdeckten Film „Within our Gates“ (1919) des schwarzen Filmproduzenten Oscar Micheaux gezeigt. Micheaux, der mit seinen mit schwarzen Darstellern besetzten Filmen als einer der wenigen auf ein afroamerikanisches Publikum zielte, gilt als Pionier des unabhängigen schwarzen Kinos.
Die künstlerische Gestaltung von Buch- und Zeitschrifteneinbänden sowie Buchillustrationen, die den literarischen Aspekt der Harlem Renaissance in Erinnerung rufen, die im Museumscafé gespielten Originalaufnahmen von zeitgenössischen Blues- und Jazzmusikern sowie die Photographien von James VanDerZee unterstreichen, daß die Harlem Renaissance eine moderne kulturelle Bewegung im weitesten Sinne war.
Für die Kunst der Harlem Renaissance mag diese Ausstellung eine europäische Premiere sein, in den Zwanzigern jedoch war die Harlem Renaissance über die Grenzen der Vereinigten Staaten hinaus bekannt. In Frankreich beeinflußte sie stark die literarische Bewegung der négritude, und auch in Deutschland wurde man auf die Entwicklungen in Harlem aufmerksam.
Schwarze Künstler erfreuten sich im Berlin der zwanziger Jahre großer Beliebtheit, Übersetzungsangebote von Deutschen an die Schriftsteller waren keine Seltenheit, und die Österreicherin Anna Nussbaum erstellte 1928 eine Anthologie afroamerikanischer Literatur mit dem Titel „Afrika Singt“. Daher ist es schade, daß die Ausstellung nach zwei weiteren Stationen in England auf direktem Wege in die USA zurückkehrt – die Chance zu einer Renaissance der Harlem Renaissance in Europa wird verpaßt. Christa Schwarz/Wigan Salazar
„Rhapsodies in Black: Art of the Harlem Renaissance“. Hayward Gallery, London, bis 17. August; 6. September bis 19. Oktober, Bristol Arnolfini, 1. November bis 6. Dezember, Coventry, Mead Gallery, Warwick Arts Centre
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen