Vom Berliner Hauptbahnhof in die Stadt: Backstage das Fußvolk, vorne die Nähe zur Macht
Eine Reise kann horizonterweiternd sein. Und das Ankommen. Raus aus dem Bahnhof, so unsere Kolumnistin, sieht man gleich, wie diese Stadt Ankommende anspricht.

J a, liebe Freund*innen des Walking Around: Meine Reise in zwei australische Großstädte war eine auf erfreuliche Weise anregende und horizonterweiternde Erfahrung. Es ist doch schön, ab und zu sehen, wie man Dinge anders, vielleicht besser, angenehmer machen kann, manchmal nur ganz kleine, etwa in der Art, Menschen anzusprechen: „Unser Fahrer kümmert sich gerne um Ihr Anliegen, sobald der Bus hält“, stand in den australischen Bussen, nicht: „Während der Fahrt nicht mit dem Fahrer sprechen!“
Ebenso horizonterweiternd war meine Rückkehr nach Berlin, wenn auch weniger mit Freude verbunden. Denn wer – wie ich in diesem Fall – über den Hauptbahnhof anreist, kann dort gleich einen Eindruck davon gewinnen, wie diese Stadt Ankommende anspricht.
Man kann den riesigen Glasbau als Fußgängerin über zwei Wege verlassen: der eine führt in Richtung des Regierungsviertels mit Reichstagsgebäude und Brandenburger Tor, der andere sozusagen in den Back Stage-Bereich der deutschen Hauptstadt. Nimmt man die Bühnenseite, läuft man angenehm über grüne Wiesen oder am Wasser entlang an den Gebäuden vorbei, hinter denen die Regierungs- oder sonstige politische Macht ihr Werk tut. Und diese strahlen weniger angenehme Vibes aus.
Es sind meist spiegelverglaste oder gar komplett schwarze Kuben, die Unzugänglichkeit, Abweisung, Exklusion vermitteln: Du, Fußgängerin, sollst nicht glauben, du seist hier in irgendeiner Weise als Mensch, als Bürgerin beteiligt. Dich lassen wir nicht hinter unsere Kulissen schauen, du bist draußen.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Das Paul-Löbe-Haus mit den Bundestagsbüros gewährt mit großen runden Fenstern zur Spreeseite zwar immerhin Einblick in einen bunten Cafeteria-Bereich, es weckt damit aber – auch mit seiner Sichtbeton-Bauweise – eher nostalgische Erinnerungen an Zeiten, als Bürger*innen noch nicht vor allem als Bedrohung betrachtet wurden. Erinnerungen, die auf der anderen Seite des Gebäudes allerdings gleich wieder von dem rot-weißen Meer aus Polizeigittern weggeschwemmt werden, das die Wiese vor dem Bundestag absperrt.
Verlässt man den Hauptbahnhof in die andere Richtung, weil man mit dem Bus nach Neukölln oder auch mit der Straßenbahn in die nordöstlichen Bezirke fährt, sieht man Berlins andere Seite. Der Platz hinter dem Hauptbahnhof – er heißt lustigerweise Europaplatz, während der Platz Richtung Regierungsviertel Washingtonplatz heißt – ist seit der Bahnhofseröffnung 2006 eine Dauerbaustelle mit schröppeliger Asphaltierung, von Bauzäunen umgrenzt und ohne sinnvolle Taxi- oder Pkw-Anfahrt; Fahrräder sind allerorts massenhaft angeschlossen, weil ausreichende Radparkplätze fehlen, und der Zugang zum ÖPNV ist quasi diskriminierend.
Zwar wurde die Tramhaltestelle erneuert, doch sind deren Bahnsteige viel zu klein, um dem Personenverkehr rund um den Hauptbahnhof Platz zu bieten. Kommt man mit dem Bus an, muss man die Invalidenstraße überqueren, deren Mittelinseln wiederum zu schmal sind, um ganze Busladungen aufzunehmen: Die Menschen kommen nur portionsweise über die Straße, und das dauert, denn die Ampelschaltung bevorzugt den Autoverkehr.
Es ist dies ein Gegensatz, der einem gleich bei der Ankunft in der deutschen Hauptstadt klar macht, wem man hier zugehört: ob man Teil der Mächtigen ist oder eben nur Fußvolk. Gerne erinnere ich mich an meine Spaziergänge in Australien – nein, nicht, weil da alles besser ist. Sondern weil dabei stets noch so ein schöner Spruch zu lesen war: „Keep left!“, steht da zur Erinnerung immer mal wieder auf den Straßen, Rad- und Gehwegen: Bleibt links!
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