: Vom Amtsschimmel zum Peiniger geschickt
■ Das Sozialamt Wilmersdorf schickt „illegal“ eingereiste Flüchtlinge aus dem Kosovo zur jugoslawischen Botschaft, um einen Paß zu beantragen. Andernfalls verweigert ihnen die Behörde die Sozialhilfe
Sie sind der jugoslawischen Armee gerade entkommen, doch ihr erster Weg in Berlin führt sie – ins jugoslawische Konsulat. Im Bezirk Wilmersdorf werden Flüchtlinge aus dem Kosovo, die keine Papiere vorweisen können, schnurstracks in die diplomatische Vertretung des Balkanstaates geschickt. Das gilt auch, wenn sie im Kosovo von der jugoslawischen Armee verfolgt oder mißhandelt worden sind. Das Verfahren ist so unsensibel wie sinnlos. Auf dem Konsulat sollen die Flüchtlinge, denen die Pässe häufig von serbischen Militärs abgenommen wurden, einen neuen Paß beantragen. Doch diesen Wunsch erfüllen die jugoslawischen Diplomaten nicht. Sie bescheinigen den Flüchtlingen lediglich, daß der jugoslawische Staat bei der Paßbeschaffung nicht behilflich sein könne.
Dennoch verteidigt die Wilmersdorfer Stadträtin Martina Schmiedhofer (Grüne), ansonsten für ihren Kampf gegen das restriktive Asylbewerberleistungsgesetz bekannt, die Regelung vehement. Nach dem Gesetz könne Sozialhilfe nur bezahlt werden, wenn die Antragsteller ihre Identität nachweisen können. Wenn der Paß fehlt, müßten sich die Flüchtlinge bei der jeweiligen Botschaft um die Beschaffung des Dokuments „bemühen“, wenn dies „zumutbar“ sei. Wenn die Betroffenen es geschafft hätten, sich bis nach Deutschland durchzuschlagen, dann könnten sie auch zur Botschaft gehen, glaubt Schmiedhofer.
Der Berliner Flüchtlingsrat sieht in Schmiedhofers Vorgehen jedoch ein „schikanöses und überflüssiges Verfahren, vor allen Dingen wenn die Kosovaren Greueltaten von Serben erfahren haben“.
In anderen Bezirken wird die Regelung nicht so streng gehandhabt. In Mitte, Spandau und Reinickendorf, die normalerweise mit Flüchtlingen sehr restriktiv umgehen, verzichten die Sozialämter auf den Gang in die Botschaft.
Die Ausländerbeauftragte Barbara John (CDU) und Innensenator Eckart Werthebach (CDU) halten den Gang zur Außenstelle der jugoslawischen Botschaft jedoch für zumutbar. „Sie müssen eben laut Gesetz dokumentieren, daß sie sich um einen Paß bemüht haben“, sagt Werthebachs Sprecherin Isabelle Kalbitzer. „Einen anderen Weg gibt es noch nicht“, sagt auch John. Sie drängt jedoch auf eine neue Praxis. „Die ungeklärte rechtliche Situation muß dringend geändert werden“, sagt sie.
Das Problem wird die Behörden auch nach Kriegsende weiter beschäftigen. Im Mai reisten 241 Kosovo-Albaner über die grüne Grenze nach Berlin ein. Eine ähnliche Anzahl wird trotz Ende des Krieges für Juni erwartet. Julia Naumann
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