: Voll der Sinnsprüche
Die vermeintliche Stärke von Sam Mendes’ Verfilmung des Kriegsromans „Jarhead“ – dessen radikale Binnenperspektive – ist leider ihre Schwäche
VON JAN DISTELMEYER
Dies ist mein Gewehr – ohne mein Gewehr bin ich nichts, ohne mich ist mein Gewehr nichts. Und: Was auch immer die Hände eines Exsoldaten berühren werden, sie bleiben immer die eines Soldaten. „His hands remember the rifle.“
Die gut zwei Stunden dieses Films sind voll von Sinnsprüchen. Einige werden uns und den Rekruten um den Marine Anthony „Swoff“ Swofford (Jake Gyllenhaal) von den Vorgesetzten eingedrillt, andere erfahren wir von Swoff, unserem Erzähler, aus dem Off. Die einen geben bekannten Regeln neue Wendungen, „The Bible says thou shalt not kill – now hear this: fuck that shit“, die anderen kommentieren diese Neuigkeiten und ihre Folgen. Über dem Alltag der Marines während des ersten Golfkriegs 1990/91 liegt Swoffs Stimme. Für alles habe das Militär eine Standardlösung vorgesehen, Krankheit, Verwundung und Tod kennen klare Dienstanweisungen, nur der verlorene Verstand ist auf sich allein gestellt.
Anthony Swoffords autobiografischer Roman „Jarhead“ ist durch die Beschreibung genau dieses unvorhergesehen und dennoch unweigerlichen Moments berühmt geworden. Der spezifische Wahnsinn dieses Krieges oder besser: dieser persönlichen, literarischen Kriegserfahrung lag im entleerten und hochgradig angespannten Nichtstun – in einem unter den Titeln „Desert Shield“ und „Desert Storm“ stattgehabten Warten auf den Krieg, der zuvor in den Ausbildungscamps eingepflanzt worden war. Nun regiert „the madness of inaction in the desert“, Wechsel zwischen Masturbation, Waffenreinigung, Streit und Freundschaft im platoon, nochmals Masturbation, sinnlosen Übungen und der Angst vor den näher rückenden Explosionen. Die Frauen der Frontmänner sind allein in sehnlich erwarteten Briefen präsent, in Bildern als Wichsvorlage und in den zahllosen Fantasien, mit wem sie ihn gerade betrügen mag.
Jene besondere Leere also könnte es sein, die uns die ständige Präsenz der Sinnsprüche, Fragen und Erkenntnisse in Sam Mendes’ Literaturverfilmung erklären. Das Innere von Swoff legt sich über alle Bilder, macht sie zu seinen. Stellvertretend für jene US-Filmkritiker, die in „Jarhead“ ein Meisterwerk sehen, hat Roger Ebert die Kraft gelobt, mit der wir hier direkt in eine subjektive Kriegserfahrung gezogen werden. Die Kritik an Sam Mendes’ drittem Film nach „American Beauty“ und „Road to Perdition“ bemängelte nicht selten eine fehlende Klarheit des Films, seine seltsame Leere oder vermisste eine politische Haltung. Ein Problem von „Jarhead“ jedoch beginnt wesentlich früher als alle jene Kritikpunkte, denen sich der Film zudem offen stellt. Dieses Problem ist die Entscheidung für die Perspektive des Anthony Swofford.
In diesem Punkt muss jeder Kritik, der Film äußere sich nicht politisch, entschieden widersprochen werden. Die Idee, aus Swoffords „Jarhead“ einen Film zu machen, zum abermillionsten Mal den Krieg als Erfahrung von Soldaten zu repräsentieren (und sei dieser auch noch so gespenstisch oder absent oder inhärent wie in „Jarhead“), ist hochgradig politisch. Wir mögen so sehr an diese Perspektive gewöhnt sein, dass sie alternativlos erscheint – aber die Haltung eines Kriegsfilms bemisst sich nicht nur daran, wie „kritisch“, „realistisch“, „hart“, „philosophisch“ oder „sinnlos“ er Leben, Taten und Sterben der Soldaten zeigt. Solange Kriege nicht nur von Männern in Uniform erfahren werden, sondern in alle Lebensbereiche der Bevölkerungen eindringen und sie verändern, so lange ist es reine Ideologie, Krieg im Kino immer schon als Frontschwein-Happening zu inszenieren. Wer hat eigentlich bestimmt, dass es mich immer zuerst und vor allem zu interessieren hat, wie sich Soldaten fühlen, sobald es um einen erklärten Krieg geht, also was etwa in Anthony Swofford vorgeht, als sein Krieg zu Ende ist, bevor er auch nur einen Schuss abfeuern konnte?
Ein außergewöhnlicher Kriegsfilm müsste sich vielleicht gerade dazu verhalten. Stanley Kubricks „Full Metal Jacket“ hat die Funktionsweise dieser Ideologie untersucht, Oliver Stones „Heaven and Earth“ ist bei dem Versuch gescheitert, von und mit der „anderen Seite“ zu erzählen. Sogar in Steven Spielbergs „Saving Private Ryan“, dem umjubelten Gottesdienst der männlich-militärischen Kriegs-Ikonografie, blinkte direkt nach der endlos scheinenden Eröffnungsschlacht am Omaha Beach kurz ein anderes Zeichen auf: Frauen, die im Akkord Kondolenzschreiben der Regierung an die Hinterbliebenen der Gefallenen produzieren. So anders war diese Einstellung, das sie inmitten des authentischen Schlachtkitschs fast wie ein entlarvendes Spiegelbild dieses Films und seines klar bestimmten Spielraums wirkt: Hier wird Geschichte geschrieben.
Sam Mendes’ „Jarhead“ will dieses Terrain nicht verlassen, sondern es – so scheint es – von innen aushöhlen. Wenn dabei die Grundlagen des Herrschaftsdiskurses mit dem Titel Krieg unangetastet bleiben, wird auf die eine oder andere Weise das Kameradschaftsethos und „Ich war in der Scheiße“-Pathos weiterleben. So jedenfalls könnte man das Ende von „Jarhead“ vereinfachend beschreiben. Das Unrecht, das damit diesem komplexen Film angetan wird, ist nichts im Vergleich zum Diktat der Soldatenseele.
„Jarhead“. Regie: Sam Mendes. Mit Jake Gyllenhaal, Jamie Foxx, Peter Saarsgaard u. a. 122 Min., USA 2005