Volkszählung in Kenia: Umstritten ist die Frage Nr. 15
In Kenia wird zum ersten Mal seit zehn Jahren die Bevölkerung erfasst. Wegen einer Frage nach der ethnischen Zugehörigkeit steht der Zensus in der Kritik.
NAIROBI taz | Caroline Nganga ist seit Sonnenaufgang unterwegs, um an fremde Türen zu klopfen. "Der Präsident hat uns extra diesen Feiertag geschenkt, damit wir so wenig wie möglich in der Nacht unterwegs sein müssen", sagt die Endzwanzigerin, die ein Klemmbrett unter dem Arm trägt, auf dem ein zweiseitiger Fragebogen heftet: der umstrittene Fragebogen zur Volkszählung, die in der Nacht zum Dienstag offiziell begonnen hat. Bis kommenden Montag sollen zehntausende Helfer alle Bewohner erfasst haben. Das ist nicht leicht, denn ersten Schätzungen der Statistikbehörde zufolge hat es seit der letzten Volkszählung vor zehn Jahren eine regelrechte Bevölkerungsexplosion gegeben: von 29 Millionen soll die Zahl der Kenianer um mehr als ein Drittel auf 40 Millionen gestiegen sein. Die Geburtenrate, so heißt es in einer Mitteilung des Amtes, werde vermutlich Weltrekordniveau erreichen. Auch für die Zahl der Arbeitslosen und Hilfeabhängigen wird ein neuer Rekord erwartet.
Doch die umstrittenste Frage ist Nummer 15 auf der Liste. Nachdem Nganga Namen, Alter, Ausbildung und Beruf aller Haushaltsmitglieder notiert hat, will sie wissen: "Welchem Stamm gehören die Haushaltsmitglieder an?" Wo Ausländer schlicht ihre Nationalität angeben, müssen Kenianer deutlicher werden. 52 Ethnien leben in dem Vielvölkerstaat. Vom einstigen Frieden zwischen den Stämmen ist nicht mehr viel zu spüren, seit ethnisch angeheizte Unruhen nach den Wahlen Ende 2007 mehr als 1.000 Kenianern das Leben gekostet haben. In weiten Teilen des Landes bedrohen Angehörige der Ethnien einander bis heute mit dem Tod, sollten sie sich nur in die Nähe wagen. Dass die Regierung unter diesen Vorzeichen nicht auf die umstrittene Frage verzichtet hat, können viele nicht verstehen. "Die ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung steht bedauerlicherweise im Mittelpunkt dieser Volkszählung", wettert der Anwalt Njoki Ndung'u von der kenianischen Bürgerrechtsbewegung ,Mars Group'. "Dabei gibt es inzwischen so viele Mischehen im Land, dass viele Kenianer keiner einzelnen Ethnie mehr angehören."
Kritiker wie Ndung'u befürchten, dass Politiker die so sensiblen Angaben zur ethnischen Zusammensetzung des Landes für Manipulationen im Vorfeld der nächsten Wahlen 2012 missbrauchen werden: Tribalismus hat in Kenias Politik Tradition. Wissen ist in Kenia zudem immer noch Macht: Zwar versprach Kenias Planungsminister Wycliffe Oparanya am Dienstag, die Ergebnisse der Volkszählung würden bis Ende des Jahres vorliegen. Doch die Ergebnisse der letzten Volkszählung vor zehn Jahren sind bis heute nicht vollständig veröffentlicht worden. Lautstarke Proteste gegen den Zensus sind indes ausgeblieben, nachdem Kritikern mit Konsequenzen gedroht wurde. Zu der politischen Unsicherheit kommt die Angst vor der Zählung selber. Immer wieder wurden in der Vergangenheit Haushalte überfallen, weil sich Räuber als Volkszähler ausgaben.
Dass die Zählung ab heute (Mittwoch) nur noch nachts stattfindet, können viele deshalb nicht verstehen. "Aber es geht nicht anders, wenn wir ein Bild davon bekommen wollen, wer wo wohnt", verteidigt Kilele das Vorgehen. Am ersten Tag wurden keine Zwischenfälle bekannt. Doch die Unsicherheit bleibt groß, nicht ganz zu Unrecht. Ein bisschen verschämt zeigt Nganga auf ihren Zählerausweis, eine kopierte Pappkarte, und die Uniform, ein rotes T-Shirt mit Aufdruck: beides ist leicht fälschbar. Viele Kenianer haben deshalb bereits angekündigt, die Tür geschlossen zu lassen, wenn Volkszähler wie Nganga anklopfen.
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