„Es gibt zu viele Ausnahmen bei hohen Vermögen“

FDP und Union fordern höhere Freibeträge bei der Erbschaftsteuer. Damit mogeln sie sich um die eigentliche Debatte herum, sagt Finanzexperte Gerhard Schick

Foto: Finanzwende e.V.

Gerhard Schick ist Vorstand der Bürgerbewegung Finanz-wende, die sich als Gegengewicht zur Finanzlobby versteht. Der Volkswirt war von 2005 bis 2018 für die Grünen im Bundestag. 2018 legte er sein Bundestagsmandat nieder, um die NGO mit aufzubauen.

Interview Jasmin Kalarickal

taz: Herr Schick, es gibt einen Kompromiss der Ampel, höhere Freibeträge bei der Erbschaftsteuer mitzutragen, wenn es eine entsprechende Gesetzesinitiative der Bundesländer gibt. Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner hat dazu gesagt: Der Ball liegt auf dem Elfmeterpunkt. Würden Sie den Ball reinschießen?

Gerhard Schick: So nicht.

Warum nicht?

Bisher diskutieren wir nur die Höhe der Freibeträge, die länger nicht angepasst worden sind. Und diese Diskussion ist legitim. Aber es gibt einen zweiten Punkt: Wir haben seit Jahren ein verfassungswidriges Erbschaftsteuerrecht. Wenn man jetzt bei der Erbschaftsteuer gesetzgeberisch tätig wird, dann muss auch dieses Thema gelöst werden.

Was müsste gelöst werden?

Dass wir Privilegien für Milliardäre in unserem Land haben.

Bleiben wir erst mal bei den Freibeträgen. Der Hintergrund der Aufregung ist, dass nach einem Verfassungsgerichtsurteil die Wertermittlung bei Immobilien angepasst wird. Das heißt: Erben von Immobilien müssten dann mehr Erbschaftsteuer zahlen. Ist das denn verkehrt?

Es ist völlig richtig, dass jedes Vermögen zu seinem Marktwert einbezogen wird. Das hat das Bundesverfassungsgericht schon mehrfach bestätigt: Der Gesetzgeber darf Freibeträge einziehen und begründete Ausnahmen schaffen. Aber was nicht geht: willkürlich einen Wert ermitteln. Dieser verfassungsrechtlichen Vorgabe muss man folgen. Die Immobilienpreise sind gigantisch gestiegen in vielen Orten in den letzten Jahren. Und das führt jetzt bei der Erbschaftsteuer dazu, dass man mehr Steuern zahlen muss, wenn man größere Vermögen vererbt.

Die FDP argumentiert so: Wenn man die Freibeträge nicht erhöht – seit 2009 wurden sie nicht angepasst –, dann werden Miethäuser aus Familienbesitz in die Hände von Investoren fallen. Das würde der gesamten Gesellschaft schaden.

Erstens: Das ist überhaupt nicht belegt. Zweitens ist es schon merkwürdig, von der FDP plötzlich Argumente gegen Finanzinvestoren zu hören. Ich habe das mit einem Schmunzeln aufgenommen. Wissen Sie was man thematisieren müsste? Wenn jemand 300 Wohnungen erbt, wird das als Betrieb gewertet und praktisch steuerfrei übertragen. Wenn jemand fünf Wohnungen erbt, muss er es versteuern. Das kann nicht gerecht sein. Um diese Debatte mogelt sich die FDP mit solchen Äußerungen herum.

Die FDP ist aber nicht allein. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) will auch die Freibeträge erhöhen und prüft eine Verfassungsklage. Wie finden Sie das?

Seit 2006 haben wir ein verfassungswidriges Erbschaftsteuerrecht. Ich kenne keine Initiative von Herrn Söder, diese Verfassungswidrigkeit zu überwinden. Allein seit 2009 sparten Superreiche aufgrund der höchsten Steuersubvention unseres Landes über 74 Milliarden Euro, dank der sie quasi steuerfrei Vermögen an die nächste Generation weitergeben können. Das ist eine Riesenungerechtigkeit. Aber bei den Freibeträgen will er vor das Verfassungsgericht gehen, weil es ihm politisch in den Kram passt. Dieses Rosinenpicken in der Verfassung, das muss jeder Demokrat im Rechtsstaat ablehnen. Söder und FDP suchen sich nur einen kleinen Ausschnitt raus, wo jetzt Vermögende stärker belastet werden. Wir müssen uns das Gesamtpaket angucken.

Wie sieht das aus?

Die allermeisten Menschen erben überhaupt nichts. Auf der anderen Seite haben wir Menschen mit Milliardenvermögen, die nichts zahlen, obwohl sie Milliarden erben. Wenn wir diese beiden großen Felder in dieser Erbschaftsdiskussion ausklammern, dann haben wir eine völlig schiefe Debatte.

Was müsste sich denn ändern, damit das Erbschaftsteuerrecht wieder verfassungskonform wird?

Es gibt zu viele Ausnahmen bei den ganz hohen Vermögen. Sie betreffen die großen Betriebsvermögen in unserem Land und die großen Immobilienbestände. Diese Privilegien müssen abgeschafft werden, damit unser Erbschaftsteuerrecht wieder verfassungskonform wird. Wie soll ich jemandem erklären, dass auf kleinere Erbschaften und Schenkungen im Schnitt ein höherer Steuersatz erhoben wird als auf größere? Das Prinzip der Leistungsfähigkeit sagt uns doch: „Starke Schultern tragen mehr als schwache Schultern.“ Im Erbschaftsteuerrecht ist dieses Prinzip aber umgekehrt worden. Das müssen wir korrigieren.

Union und FDP argumentieren gegen eine höhere Besteuerung von Betriebsvermögen, weil daran ja auch Arbeitsplätze hängen.

Dieses Argument ist aber in den Bereich der Fake News einzuordnen. Es gibt ein Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesfinanzministerium, das zu einem anderen Ergebnis kommt. Bei einer Erbschaftsteuer für Betriebsvermögen gibt es auch Stundungsregelungen. In Deutschland ist noch kein einziger Betrieb durch die Erbschaftsteuer ins Schlingern gekommen. Das ist ein Scheinargument, um den Leuten Angst zu machen. Die Stiftung Familienunternehmen, wo viele der größten Milliardärsfamilien dieses Landes organisiert sind, hat systematisch versucht Angst zu schüren, dass bei einer sinnvollen Erbschaftsbesteuerung Arbeitsplätze verloren gehen. Und dieses Argument ist weitverbreitet in unserem Land, ist aber trotzdem falsch.