Volksfeste: California dreaming

Das Deutsch-Amerikanischen Volksfest in Dahlem ist ein großer Rummel. Ein höhepunkt: die Miss-Wahl mit einem Preisgeld von 200 Euro.

Schöne Beine, schön amerikansich Bild: reuters

Die Damen geben alles: Mary, Melanie und Saskia stolzieren nacheinander über die Bühne, wackeln mit den Hüften, kokettieren mit den Juroren. "Boah, haste das gesehen?", ruft ein Zuschauer, als sich Mary, Startnummer drei und eine zierliche, braungebrannte 24-Jährige, den Wickelrock von den Hüften reißt. Die Menge johlt, ältere Herren knipsen Erinnerungsfotos, als sie in High Heels und Bikini den Catwalk entlangläuft. Mary läuft um den Titel der "Miss Deutsch-Amerikanisches Volksfest". Ein halbnackter Wahnsinn für sie und acht weitere Frauen.

Seit zwei Wochen herrscht mitten in Zehlendorf Ausnahmezustand. Amerika ist zu Besuch. Zumindest fast. An der Ecke Clayallee/Argentinische Straße in Dahlem findet zum 47. Mal das Deutsch-Amerikanische Volksfest statt. Laut Veranstalter "eine der schönsten Aktivitäten zur Pflege der deutsch-amerikanischen Beziehungen in Berlin und Brandenburg". Im vergangenen Jahr drängten sich hier insgesamt 380.000 Besucher. Einer der Höhepunkte der dreieinhalbwöchigen Festivitäten ist die Misswahl à la Hollywood.

In den Kategorien Free Style, Bikini und Casual präsentierten sich an diesem Dienstagabend neun junge Frauen zwischen 19 und 26 Jahren. "Ich bin eigentlich nur zum Spaß hier", erzählt die in New York geborene Divinity - sie heißt wirklich so -, während sie sich in einem stickigen Bauwagen direkt hinter der Bühne aus ihrem Disco-Outfit und in den Bikini zwängt. Mit ihrer Schwester sei sie vor einigen Wochen in einer Berliner Diskothek angesprochen worden, ob sie an dem Wettbewerb teilnehmen wolle. Klar wollte sie, auch wenn das als Beruf nicht in Frage käme. "Ich esse viel zu gern", so die 19-Jährige. Außerdem sei sie dafür "viel zu alt". Sie klingt wie ein ziemlich junger Teenie.

Eigentlich hatten sich 25 Mädchen angemeldet, gekommen sind - trotz einer Teilnahmeprämie von 25 Euro und dem Preisgeld von bis zu 200 Euro - gerade mal 9. "Die anderen haben wohl kalte Füße bekommen", mutmaßt Showmaster Ecky Ike - er heißt nicht wirklich so. Wahrscheinlicher ist, dass die Damen angesichts der Veranstaltung zur Besinnung gekommen sind. Denn dieses Kleinamerika ist nichts anderes als ein Rummel - und die Kür eine primitive Show.

Schon am Eingang des Festgeländes verstopfen einem der Geruch von Bratfett, Popcorn und, aus der Richtung des Ponyreitgeheges, Pferdeapfelessenz die Nase. Auf dem vorderen Teil des Fests quetschen sich Karussells der Sorte Magensäurenbeschleuniger an Fressbuden, die den üblichen halben Meter Bratwurst, Bier und Süßigkeiten verkaufen. Etwa Lebkuchenherzen mit der Aufschrift "Ich hab Dich lieb", "Ich hab Dich so lieb" und "Ich hab Dich total lieb". Das Amerikanischste hier ist ein kleiner Junge in einem weißen USA-Trikot.

Auch im American Village, dem hinteren Teil des Geländes, ändert sich das kaum. Zwischen Hamburger- und Hotdog-Buden steht ein verwaister Rodeo-Bulle aus Plastik. Auf einer Sandfläche von 20 mal 25 Metern stehen ein paar Sonnenstühle bereit. Im Gegensatz zum echten Venice Beach blickt man hier nicht auf den Pazifik, sondern auf eine von der fiesen Witterung in Mitleidenschaft gezogene bemalte Stellwand mit einem Hauch von Strand und Meer. "Vielleicht ist es ja schöner, wenn es dunkel ist und die Lichter an den Buden leuchten", sagt der 25-jährige Daniel Nachtmeister. Dann lacht der Heidelberger über seinen allzu großen Optimismus. Aus einer Bingobude tönt eine monotone Stimme: "In der I-Reihe haben wir I 18, ai eighteen. In der N-Reihe haben wir "

Dennoch: "Diese Feste leben natürlich von der Präsenz von Amerikanern in Uniform", lässt sich Festsprecher Joachim Weiß nicht beirren. Leider sind die Alliierten seit Mitte der 90er abgezogen und ist der Anteil amerikanischer Festbesucher dadurch drastisch gesunken. Zumindest Organisator Richard Simmons ist waschechter US-Amerikaner aus Wyoming - dem ländlichsten Staat der Staaten. Anfang der 70er kam er als Soldat nach Deutschland, seit 1977 organisiert er das Fest. "Damals waren viel mehr Amerikaner hier", erinnert er sich. "Die haben ja direkt hier gegenüber gewohnt."

Ob Amerikaner oder nicht, die Besucher scheint das nicht zu stören. Hauptsache Party. "Heute ist ja leider Totentanz, sonst ist hier mehr los", sagt Sylvia Morawitz aus Tempelhof, die offenbar häufiger herkommt. Heute will sie sich mit einer Freundin die Miss-Wahl anschauen.

Die gewinnt, nach vier Stunden Paradelaufen, tief in der Nacht Saskia Wolter. Die 20-Jährige darf sich nun ein Jahr lang "Miss Deutsch-Amerikanisches Volksfest" nennen. Der Titel wird ihr Leben oder ihre Chancen, Model zu werden, vermutlich kaum ändern. Macht nichts. "Die Mädchen von 'Germanys next Topmodel' sind ja schließlich auch noch nicht groß rausgekommen", sagt eine ihrer unterlegenen Konkurrentinnen. Modelsolidarität im Kleinen.

Die Männer, die heute Abend um den Titel "Mister Deutsch-Amerikanisches Volksfest" streiten, können sich damit nicht trösten.

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