Volksentscheid Energie in Berlin: Da trifft dich ja der Schlag
Noch beliefert Vattenfall acht von zehn Berlinern mit Strom. Aber der Ruf des Konzerns ist lädiert. Wir präsentieren vier Fehler, die kein Unternehmen begehen sollte.
Als der schwedische Vattenfall-Konzern ab 2002 Energieunternehmen in Deutschland kaufte, eröffnete sich ihm eine Chance. Unterstützt von der herrschenden Politik, gelang dem Unternehmen der Einstieg in die Bundesliga der deutschen Stromversorger. Es war die Zeit der Liberalisierung: Das System der jahrzehntealten Oligopole sollte endlich aufgebrochen werden. Als neuer Konkurrent für die drei west- und süddeutschen Konzerne Eon, RWE und EnBW wurde Vattenfall in Ost- und Norddeutschland etabliert. Die Schweden kauften Anteile der Hamburgischen Elektrizitätswerke, der Vereinigten Energiewerke, der Lausitzer Braunkohle AG und schließlich auch der Berliner Bewag.
Allein, das Unternehmen vergeigte seine Chance. Jetzt könnte ihm nach dem Hamburger Stromnetz auch dessen Berliner Pendant abhandenkommen. Die Fachwelt spekuliert schon länger, wann sich der Konzern aus Deutschland zurückzieht. Dass Vattenfall auf dem absteigenden Ast ist, liegt nicht nur an Atomausstieg und Energiewende, sondern vornehmlich an der merkwürdigen Unternehmenspolitik.
Denn diese vier Fehler sollte man heutzutage als Manager besser nicht machen:
Nach Berechnungen der Initiative Berliner Energietisch wäre es 1,8 Millionen Euro billiger gewesen, den Volksentscheid mit der Bundestagswahl Ende September zusammenzulegen. Der Energietisch, der das vom Senat gefordert hatte, stützt sich auf Angaben von drei Bezirksstadträten, die er auf Berlin hochrechnet. "Diese Kosten hätte der Senat dem Steuerzahler ganz einfach ersparen und besser ins Stadtwerk investieren können", kritisiert die Initiative.
Die zuständige Senatsinnenverwaltung widerspricht dieser Berechnung. Man bleibe bei einer Schätzung der Mehrkosten von 200.000 bis 250.000 Euro, sagte ihr Sprecher Stefan Sukale der taz. Weitere 800.000 Euro, die auf Portokosten entfielen, waren laut Sukale unvermeidbar, weil die Abstimmungsunterlagen aus Termingründen nicht gemeinsam mit denen der Bundestagswahl hätten verschickt werden können.
Vier Tage vor dem Entscheid stellte sich die renommierte Wirtschaftswissenschaftlerin und Energieexpertin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hinter das vom Energietisch geforderte Stadtwerk: Es wäre größer als das kürzlich vom Abgeordnetenhaus beschlossene und könnte die Energiewende schneller umsetzen, sagte sie in einem Interview mit der Berliner Zeitung. (sta)
1. Fragwürdige Produkte verkaufen
Als Vattenfall nach Deutschland kam, war der Atomausstieg in seiner rot-grünen Variante schon beschlossen und im Gange. Schon seit der Atomkatastrophe von Tschernobyl 1986 forderte die Mehrheit der deutschen Bevölkerung, die Atomkraftwerke abzuschalten. Trotzdem machte sich Vattenfall frisch ans Werk.
Zum Portfolio des Energiekonzerns gehörten damals vier deutsche AKWs: Stade, Brokdorf, Brunsbüttel und Krümmel. Die Schweden dachten, sie könnten mit dem Verkauf des umstrittenen Atomstroms einfach so weitermachen, obwohl den in Deutschland nur noch die wenigsten haben wollten. In Stockholm hatte man offensichtlich wenig Ahnung, was in dem neuen Geschäftsgebiet da unten im Süden los war. Die Folge: Bald war Vattenfall hierzulande als sturer Atomkonzern abgestempelt, dem viele Bürger misstrauten. Die gesamte Geschäftspolitik stand damit unter einem schlechten Stern.
2. Den Kunden einen Bären aufbinden
Mitte 2007 bekamen die Berliner Haushalte Post von ihrem Stromanbieter. Vattenfall teilte darin wieder einmal eine Preiserhöhung mit und bot gleichzeitig einen „Haushalt-Schutzbrief“ an – eine Versicherung für bestimmte Schäden in Haus und Wohnung. Weil die Kosten in einer Tarifvariante ohne Aufpreis enthalten waren, konnte der Eindruck einer gewissen Entschädigung entstehen, die Vattenfall seinen Kunden zudachte.
Die Verbraucherzentrale schaute sich den Haushalt-Schutzbrief genauer an und stellte fest: „Die Leistungen sind stark eingeschränkt, überflüssig und teils finanziell riskant.“ Die Institution könne „nur davon abraten, den Schutzbrief zu übernehmen“. An die Adresse von Vattenfall ging die folgende Empfehlung: „Schuster, bleib bei deinen Leisten und biete günstigeren Strom an.“ Was ein schönes Werbegeschenk mit Image-Vorteil für das Unternehmen sein sollte, entwickelte sich zur PR-Katastrophe. Wochenlang wurde darüber debattiert, ob die Energiefirma ihre Kunden für dumm verkaufen wollte.
3. Mit Informationen knausern
Im selben Sommer, in dem sich in Berlin die Versicherungsgeschichte zutrug, fing ein Transformator am Atomkraftwerk Krümmel Feuer. Vattenfall musste die Anlage abschalten. Die Reparatur dauerte annähernd zwei Jahre. Dann begann man wieder, Strom zu produzieren – und nach nur zwei Wochen wiederholte sich der Unfall. Alle Welt fragte sich: Hat Vattenfall keine Elektriker? Haben die keine Ahnung? Kümmert sich das Management in Schweden eigentlich um die Probleme in seinen ausländischen Kraftwerken? Solche Fragen blieben größtenteils unbeantwortet, weil das Unternehmen es nicht für nötig hielt, Öffentlichkeit und Politik in Deutschland ausreichend mit Informationen zu versorgen.
Schließlich stand die fachliche Eignung des Konzerns als Betreiber von Atomkraftwerken insgesamt zur Diskussion. Der Vertrauens- und Reputationsverlust ging sogar so weit, dass die schleswig-holsteinische Atomaufsicht eine von Vattenfall nominierte Managerin als AKW-Leiterin ablehnte – wegen Zweifeln an ihrer Qualifikation.
4. Verantwortung für die Umwelt ignorieren
In den Jahren 2008 und 2009 entstand folgender Eindruck: Alle Welt redet vom Klimawandel, Vattenfall nicht. Denn das Unternehmen wollte sein Berliner Braunkohlekraftwerk Klingenberg an der Rummelsburger Bucht durch ein Steinkohle-Kraftwerk ersetzen. Das Hauptargument: weniger Kohlendioxidausstoß. Viele Bürger und schließlich auch manche Angehörige des Senats fragten sich: Warum überhaupt noch Kohle?
Wieder einmal entwickelte sich eine große, gegen Vattenfall gerichtete Debatte. Schließlich lenkte das Unternehmen ein. „Wir haben tief in diese Stadt hineingehört“, so ein Vattenfall-Manager. Statt mit Steinkohle will die Firma Wärme und Strom künftig mittels Erdgas und Biomasse erzeugen. Wer weiß, ob sie dazu in Berlin noch kommt.
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