Volksbegehren zu Versorgungsnetzen: Bitte Rolle rückwärts
Die Unterschriftensammlung für den Rückkauf der Versorgungsnetze hat begonnen. Strom, Gas und Fernwärme sollen von Hamburg-Wasser geliefert werden.
Noch steht der weiße Schalter auf "Vattenfall / Eon". Dann ist es endlich 12 Uhr. Etwa 60 Menschen sind an diesem Vatertags-Donnerstag auf den Rathausmarkt gekommen. Sie greifen nach dem überdimensional großen Schalter und stellen ihn um, hin zum Hamburger Wappen, hin zur Rücknahme der Energienetze in die öffentliche Hand.
Noch ist es eine symbolische Geste, doch für die Initiative "Unser Hamburg - Unser Netz" soll sie bald Wirklichkeit werden. In den nächsten drei Wochen, bis zum 22. Juni, muss sie mindestens 63.000 Unterschriften sammeln, damit die Stadt die Konzessionsverträge mit Vattenfall und Eon Hanse nicht verlängert und die Energienetze in die öffentliche Hand zurücknimmt. Die Verträge laufen 2014 aus, sie können bis Ende 2012 gekündigt und neu ausgeschrieben werden.
Beide Versorger hätten "mehrfach bewiesen, dass sie nicht für eine klima- und verbraucherfreundliche Versorgung stehen", erklärte Günter Hörmann, Geschäftsführer der Verbraucherzentrale (VZ) Hamburg und Vertrauensmann der Initiative. "Wir können nicht davon ausgehen, dass der Senat zu einer guten Lösung bereit ist", sagte Manfred Braasch, Hamburger Geschäftsführer des Umweltverbands BUND.
Das Bündnis "Unser Hamburg - Unser Netz" tritt für den Rückkauf der privatisierten Netze für Strom, Gas und Fernwärme ein.
24 Organisationen sind beteiligt, darunter BUND und Robin Wood, die Verbraucherzentrale, der Bund der Steuerzahler und der Kirchenkreis Hamburg-Ost.
Mit 17.726 Unterschriften hatte die Volksinitiative im August 2010 die erste Hürde genommen. Die Bürgerschaft übernahm die Initiative im Dezember nicht.
Im zweiten Schritt kommt es nun deshalb zum Volksbegehren. Sollte es mit mehr als 63.000 Unterschriften erfolgreich sein, wäre der letzte Schritt ein verbindlicher Volksentscheid im Herbst 2013.
Denn obwohl zwei Gutachten im Auftrag der Umweltbehörde die Re-Kommunalisierung der Versorgungsnetze für Strom, Gas und Fernwärme empfehlen, lehnt Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) dies kategorisch ab. Zwar halten auch er und die SPD den Verkauf der Hamburgischen Electricitäts-Werke (HEW) an Vattenfall und der Hamburgischen Gaswerke (Heingas) an Eon Hanse in den 1990er Jahren nachträglich für falsch.
Scholz beharrt aber darauf, dass die Stadt höchstens 25,1 Prozent der Anteile an einer Betreibergesellschaft übernehmen und die Mehrheit bei den Energiekonzernen verbleiben sollte.
Das Volksbegehren indes will, dass die Netze vollständig zurückgenommen werden. Ein Minderheitsanteil sei "rausgeschmissenes Geld", sagt GAL-Fraktionschef Jens Kerstan, weil er "keinen echten Einfluss" ermögliche. Nach einer repräsentativen Erhebung des Psephos-Instituts für den BUND im Februar unterstützen 65 Prozent der HamburgerInnen das Ziel des Volksbegehrens.
61 Prozent erhoffen sich durch einen kommunalen Versorger "eine verbraucherfreundlichere Preispolitik", 39 Prozent eine "klimafreundlichere Versorgung" und 42 Prozent bekundeten - einen Monat vor der Fukushima-Katastrophe - "kein Vertrauen in die Energiekonzerne" mehr zu haben.
Seit der Neuwahl aber regiert die SPD mit absoluter Mehrheit, und die ist weit davon entfernt, eine absolute oder gar vollständige Mehrheit an den Versorgungsnetzen erwerben zu wollen. Obwohl dies aus umweltpolitischen wie wirtschaftlichen Gründen sinnvoll ist, wie aus den beiden vor einer Woche veröffentlichten Expertisen der Umweltbehörde hervorgeht.
Die Volksinitiative "Unser Netz" hatte die beiden Studien als "Stärkung unserer Position" begrüßt, und zugleich Scholz heftig kritisiert, weil der sich davon unbeeindruckt zeigte. Das habe keinen Einfluss auf seine Entscheidung, ließ er einen Senatssprecher mitteilen. Selbst bei einem Erfolg des Volksbegehrens werde es keinen Kompromiss geben. Die Konsequenz wäre dann der dritte Schritt: ein verbindlicher Volksentscheid am Tag der Bundestagswahl im Herbst 2013.
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