Vogelgrippe an der Nordseeküste: Neuerdings auch im Sommer

Erstmals tritt der H5N1-Virus an der Nordseeküste zur Brutzeit auf. Seine Ausbreitung könnte gravierende Folgen für die Brutbestände haben.

Eine Eiderente liegt tot am Strand der Nordsee.

Tote Eiderente am Nordsee-Strand: Ein Foto aus dem Februar, das auch aus dem Juli stammen könnte Foto: dpa / Axel Heimken

HAMBURG taz | Manchmal erwischt sie der Tod, während sie übers Meer fliegen: Seevögel, die an der Vogelgrippe erkranken, verenden zum Teil noch im Flug und fallen ins Wasser. Anschließend werden ihre Kadaver am Strand angespült.

So geschieht es im Moment immer wieder an der schleswig-holsteinischen Nordseeküste. Die aktuellen Ausbrüche des Virus könnten gravierende Folgen für den Brutbestand der Seevogelkolonien haben. Besonders davon betroffen sind Basstölpel, Eiderenten und Brandseeschwalben. Sie kommen tot oder geschwächt an den Stränden an.

Die Brandseeschwalbe ist in Deutschland sogar vom Aussterben bedroht. Erstmalig tritt die Vogelgrippe bei Wildvögeln auch im Sommer zur Brutzeit und nicht mehr nur im Winterhalbjahr auf. Anfang Juni wurden die ersten Fälle auf der Insel Trischen im Wattenmeer nachgewiesen, fast zur gleichen Zeit gab es die ersten Funde auf der Insel Helgoland und im Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer.

„Das Vogelgrippeereignis streckt sich im Prinzip auf einen Raum zwischen der südlichen Nordsee und der südlichen Ostsee“, sagt Martin Kühn, ein Ranger des Nationalparks Wattemeer. Zwanzig Prozent der Brandseeschwalben-Bestände sind bereits von dem Virus betroffen, schätzt die Parkverwaltung. Kühn zufolge sind die Meldungen zwar aktuell, können aber innerhalb kürzester Zeit überholt sein.

Im Sommer brüten die Seevögel in Kolonien

Die Vogelgrippe ist an sich nichts Neues in der Region, allerdings verbreitet sich das Virus dieses Mal anders als in den vergangenen Jahren. In der Regel stecken sich vor allem Wasservogelarten wie Enten und Gänse an, sagt Jochen Dierschke, technischer Leiter der „Vogelwarte Helgoland“, die gemeinsam mit dem Verein Jordsand an der Dokumentation der Fälle arbeitet.

Der enge Kontakt zwischen den Vögeln im Winter begünstige die Verbreitung der Vogelgrippe, die durch Körperflüssigkeiten wie Speichel und Kot übertragen werde. Diesen Sommer seien dagegen Seevogelarten betroffen, die in großen Kolonien brüteten, um sich vor Beutegreifern zu schützen.

Zurzeit deuteten die meisten Funde darauf hin, dass überwiegend Altvögel sterben, berichtet Dierschke. Ähnliches wird auch aus anderen Küstenregionen bestätigt. Basstölpel und Brandseeschwalben haben eine geringe Reproduktionsrate. Sie ziehen nur ein bis zwei Küken pro Jahr groß, können dafür aber bis zu vierzig Jahre alt werden. Im Normalfall sichert das ihren Fortbestand.

„Wenn Altvögel sterben, hat das langfristige Folgen, da es viele Jahre dauern kann, bis die Verluste wieder ausgeglichen sind“, sagt Dierschke. Hinzu komme, dass durch die sterbenden Elterntiere viele Jungvögel in den Nestern verhungerten.

Für Till Holsten, Trischens Naturschutzwart im Auftrag des Naturschutzbunds Deutschland (NABU), ist die Vogelgrippe für aussterbende Seevogelarten nur der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt.

Verheerende Folgen für dezimierte Populationen

Tierpopulationen seien in der Regel fähig, sich vom Verlust der Bestände zu erholen, so Holsten. Eine große Population sorge für einen größeren Genpool und damit für die Fähigkeit, besser auf Umweltveränderungen zu regieren. Jedoch könne ein hoch ansteckendes Virus verheerende Folgen für Populationen haben, die ohnehin dezimiert sind.

Das Virus wird sich wohl weiter verbreiten. In der Vergangenheit hat sich das Infektionsgeschehen nach einigen Wochen verringert, aber zur Zeit können die Experten keine Prognosen aufstellen. Sie sind sich aber einig: Es gibt nichts, was sie für die bereits infizierten Seevögel tun können.

In der Zwischenzeit bleibt ihnen nur, das Geschehen zu beobachten. Und auf das Ende der Brutzeit zu warten, wenn die Seevögel wieder ihre Kolonien verlassen und sich die Ansteckungsmöglichkeiten damit verringern.

Wichtig sei, dass Be­su­che­r*in­nen des Nationalparks auf die Hinweise achten, um die Verbreitung des Virus durch Menschen einzugrenzen, sagt Ranger Kühn. Bei der Entdeckung sterbender Seevögel solle man Abstand halten. Er rät stark davon ab, den Tieren helfen zu wollen.

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