Völkische Siedler als Romanstoff: „Da gib es eine intuitive Abwehr“
Die Autorin Cornelia Franz schreibt einen Roman über Links-Alternative und völkische Siedler im Wendland. Ihr Versuch einer differenzierten Sichtweise stößt jedoch auf Unverständnis.
taz: Frau Franz, wie sind Sie darauf gekommen, einen Roman über rechte Siedler im Wendland zu schreiben?
Cornelia Franz: Ich habe immer wieder gehört, dass das seit Jahren ein Problem in dieser Region ist. Mich hat interessiert, was passiert, wenn in ein traditionell linksalternativ geprägtes Gebiet Leute kommen, die da nicht „hinpassen“. Zuerst dachte ich, es würde ein Buch werden, wo es so richtig knallt, wo Linke und Rechte aufeinander prallen. Schwarz gegen weiß. Die einen dringen in die Welt der anderen ein, und dann kracht es. Heute denke ich: Es ist ziemlich langweilig, zu erzählen, wie die Bösen in die Welt der Guten eindringen, sich da breitmachen und natürlich rausgeschmissen werden müssen. Das ist für mich heute nicht mehr so das Thema.
Sondern?
Im Zuge meiner Recherchen habe ich gemerkt, dass mich andere Sachen viel mehr interessieren als so eine Art „Bürgerkrieg“. So bin ich auf Internet-Seiten von angestammten Wendländern gestoßen, die mich sehr erschreckt haben. Die Art und Weise, wie dort Ausgrenzung durch die Linken – also die politische Gruppe, der auch ich mich zugehörig fühle – stattfindet, die Art zu schreiben und das Vokabular, das alles hat mich entsetzt. Daraus sprach die Angst der Verfasser, dass in ihre Welt etwas einbricht, was sie zutiefst verunsichert!
59, studierte Germanistik und Anglistik, ließ sich zur Verlagsbuchhändlerin ausbilden und arbeitete als Lektorin bevor sie 1993 begann Kinder- und Jugendbücher, aber auch Romane für Erwachsene zu schreiben. Ihr Roman „Ins Nordlicht blicken“ (dtv) avancierte in mehreren Bundesländern zur offiziellen Schullektüre. Erfolgreich sind auch die unter dem Pseudonym „Lia Norden“ erschienen Romane, die sie gemeinsam mit zwei Kolleginnen als Autorenteam verfasst. Cornelia Franz lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in Hamburg.
Können Sie ein Beispiel für solch eine verbale Ausgrenzung nennen?
Da fanden sich sinngemäß Botschaften wie: Passt auf, dass deren Kinder nicht mit euren Kindern spielen! Und wenn sich einer von denen euch nähert, dreht euch weg und redet nicht mit denen!
Haben Sie sich vor Ort umgeschaut?
Ja, aber für mich waren diese Strukturen im Wendland mit bloßem Auge nicht erkennbar. Fakt aber ist: Es gibt diese Rechten, die sich auf dem Land niederlassen. Und wenn das in meiner Nachbarschaft geschehen würde, dann wäre mir das auch sehr unangenehm. Aber was mich stört, ist die Art, wie damit umgegangen wird. Da wird nicht miteinander geredet, da wird nicht die Auseinandersetzung gesucht. Vielmehr herrscht eine völlige Kommunikationslosigkeit von beiden Seiten. Die Einstellung vieler angestammter Wendländer lautet: Das ist unsere Welt, die gehören da nicht rein. Und deswegen werden sie geächtet.
Was ist die Alternative: Ein wendländisches Kaffeekränzchen von Links-Alternativen und völkischen Rechten?
Mich hat eine Kolumne der taz-Autorin Silke Burmester sehr nachdenklich gemacht, wo sie auf solche rechten Siedler stößt, und sich erst auf dem Rückweg aus dem Wendland die Frage stellt: Warum bin ich einfach weggefahren? Warum habe ich diese Leute nicht angesprochen und sie gefragt: „Was soll das alles hier? Findet ihr Hitler wirklich gut?“ Diese Sprachlosigkeit ist das, was mich an diesem Thema interessiert. Einfach nur ausgrenzen und jeden Kontakt zu vermeiden, ist aus meiner Sicht der falsche Weg.
Entsteht da im Wendland eine Parallelgesellschaft?
Eine völkische Parallelgesellschaft?
Ja. Ihre Schilderungen klingen so.
Tatsächlich existieren im Wendland inzwischen zwei Gesellschaften fast ohne Berührungspunkte nebeneinander. Und wenn es zu einer Berührung kommt, dann geht es um Konfrontation, nicht um Kommunikation.
Wie setzen Sie das schriftstellerisch um?
Das ist sehr schwierig. Allein der Versuch, diese Kommunikationslosigkeit zu beschreiben, wird mir von einigen Freunden und Kollegen, die das Manuskript gelesen haben, als Sympathisantentum mit den Rechten ausgelegt.
Warum das?
Die Hauptfigur in meinem Roman, Maxim, ist ein Links-Alternativer, der jahrzehntelang Kultur auf dem Land gemacht hat. Er freundet sich mit einem dieser Siedler an – Ludger -, von dem man noch nicht einmal eindeutig sagen kann, der ist „rechts“. Über Politik reden die beiden Männer ganz selten. Die Protagonisten in meiner Geschichte sind nicht rechtsradikal, sondern eher so spinnerte, wenig politische Deutschtümler. Die wollen autark sein, züchten deutsche Hühner- und Schafsrassen und wollen deutsche Traditionen bewahren. In Ludgers Familie gibt es gewisse völkische Attribute: Die Kinder heißen Tristan und Freia, die Jungs tragen kurze Hosen, die Mädchen Kleider und Zöpfe. Klar, diese Leute sind mit Sicherheit deutschtümelnd. Deshalb werden ihre Kinder an der örtlichen Grundschule nicht angenommen. Man meidet sie. Und Maxim wird zerrieben zwischen dem Gefühl, Ludger irgendwie zu mögen und mit ihm eigentlich nichts zu tun haben zu dürfen.
Warum goutieren Ihre Testleserinnen diesen erzählerischen Ansatz nicht?
Mir war von Anfang an klar, dass das ein schwieriger, erzählerischer Ansatz ist. Darum habe ich, entgegen meinen Gewohnheiten, das Manuskript in einem frühen Stadium vergleichsweise vielen Freunden und Kollegen zu lesen gegeben. Und gerade meine Freunde, die politisch links stehen, haben mir klar gespiegelt: Das kannst Du derzeit so nicht machen!
Wie wurde das genau begründet?
Viele hatten das Gefühl, als würde ich die Linken im Wendland diffamieren und die völkischen Siedler zu sympathisch darstellen. Ludger, der Protagonist aus der rechten Ecke, ist Maxim, dem Altlinken, erst einmal sympathisch – sonst würde der Kontakt ja gar nicht zustande kommen. Dieses Gefühl muss ich als Autorin transportieren, sonst funktioniert die Geschichte erzählerisch nicht. Ich muss Ludger also so zeichnen, dass er etwas Faszinierendes für Maxim hat. Aber genau dafür habe ich Gegenwind bekommen. Der war so stürmisch, dass ich momentan wirklich zweifle, ob ich das Projekt überhaupt beende.
Wie erklären Sie sich diese Empfindlichkeit in vielen Reaktionen, die Sie erfahren?
Sicherlich hat das viel mit dem gegenwärtigen politischen Klima zu tun, dem Aufschwung der AfD und dem Aufkommen der Rechten, das ja nicht zu übersehen ist. Deshalb ist es sicherlich ein ungünstiger Zeitpunkt, sich so einem Thema so differenziert zu widmen …
… oder gerade ein besonders günstiger!?
Ich bin da sehr unsicher, weil ich nach den ersten Reaktionen die Angst habe, dass mir das Buch um die Ohren fliegt und auch die Verlage an diesem Zugang derzeit nicht interessiert sind. Aber der Ansatz: Das sind die Guten und das sind die Bösen, der interessiert mich als Autorin eben nur mäßig.
Ihre Fragestellung knüpft an den unabgeschlossenen Diskurs der vergangenen Jahre an. Auch bei Pegida scheiden sich seit Jahren die Geister an der Frage: Kontakt aufnehmen, Überzeugungsarbeit leisten oder draufhauen, Stinkefinger zeigen und ächten?
Einfach nur zu sagen: Das sind die Bösen, mit denen reden wir nicht, halte ich für den falschen Weg. Ich glaube, es ist immer sinnvoll miteinander zu sprechen, um nicht in einer Gesellschaft zu landen, die vollkommen auseinanderfällt. Wir müssen mit AfD-Wählern und Pegida-Anhängern das Gespräch suchen, statt zu sagen: Mit denen rede ich nicht. Aber wenn das nicht einmal Nachbarn schaffen, dann weiß ich nicht, wie die Gesellschaft insgesamt das hinkriegen soll.
Sie haben im Vorgespräch erzählt, dass Sie den Rechten viele Dinge in den Mund gelegt haben, die Sie eher in der linken Szene gehört haben – und die im rechten Zusammenhang scheinbar einen Bedeutungswandel erfahren. Was meinen Sie damit?
Ganz speziell bezieht sich das auf die Flüchtlingsproblematik. Da gibt es auch in der Linken Berührungsängste. Fragen wie: Warum müssen Ausländer immer so laut telefonieren? Kann ich als Frau, wenn wir als Familie einen Flüchtling aufnehmen, nicht mehr in Unterwäsche durchs Haus laufen? Das sind Dinge, die auch Linksalternative denken oder sagen. „Oh Gott, was macht ihr, wenn eure Tochter allein mit dem im Haus ist?“ Diese Frage würde bei einem schwedischen Austauschstudenten niemals auftauchen. In meiner Geschichte quartiert Maxims erwachsener Sohn einen Afghanen in seinem ehemaligen Zimmer ein, und seine Familie fühlt sich dadurch in ihrem Alltagstrott gestört. Das ist das Thema der Political Correctness. Wie weit klafft das, was ich denke und fühle, mit dem auseinander, was ich meine, als Links-Alternativer sagen zu müssen?
Das heißt bei der Flüchtlingsfrage: lechts und rinks kann man leicht velwechsern?
Ich will in keiner Weise unterstellen, dass Links-Alternative genauso gegen Flüchtlinge eingestellt sind wie die Rechten. Aber es ist spannend zu erzählen, dass auch Linke, in dem Moment, wo das Flüchtlingsthema in ihren Alltag einbricht, plötzlich Sachen denken und sagen, die nicht politisch korrekt sind. In dem Moment aber wo Ludger, der völkische Mensch, wortgleich diese Ressentiments äußert, bekommen sie eine andere Gewichtung und wirken auf einmal fast rechtsradikal. Diese Beobachtung habe ich auch in meinem Bekanntenkreis gemacht, und die gilt es für mich in Worte zu kleiden.
Warum halten es Linke so wenig aus, wenn ihr Verhalten kritisch hinterfragt wird?
Es gab in vielen Kreisen der Linken schon immer eher eine Wagenburgmentalität als eine offene, selbstkritische Diskussionskultur ohne Denkverbote. Bestimmte Sachen können einfach nicht ausgesprochen werden, ohne gleich als Zugeständnis an den politischen Gegner empfunden zu werden. Diese Tendenz hat Tradition in der deutschen Geschichte, weil die Linke ja immer um ihre Existenz und ihren Status kämpfen musste. Da gibt es eine intuitive Abwehr von allem, was am eigenen Selbstbild kratzen könnte.
Wo stehen Sie jetzt mit Ihrem Manuskript?
Ich schreibe vor allem Kinder- und Jugendbücher und befürchte, dass die infrage kommenden Verlage eben nicht sagen: Frau Franz stößt da eine spannende Diskussion an, sondern mir den Stoff ebenfalls um die Ohren hauen. Wenn ich berühmt wäre, würde ich das Projekt sicherlich durchziehen, mich auf die Kontroverse freuen und mich der gerne stellen.
Ist die deutsche Verlagslandschaft zu ängstlich?
Ja, mit Sicherheit.
Was haben Sie im Rahmen des Schreibprozesses gelernt oder lernen müssen?
Ich habe vor allem gelernt, dass ich nicht in der Lage bin, den Konflikt adäquat so darzustellen, dass ich meine Leserschaft erreiche. Nach den bisherigen Rückmeldungen weiß ich nicht, ob ich weiterschreiben und das Projekt beenden werde.
Aber Verlage, die an Ihrem erzählerischen Ansatz Interesse hätten, dürfen sich schon noch bei Ihnen melden?
Dagegen würde ich mich sicher nicht wehren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu
Er wird nicht mehr kommen