Völkerrechtler über Georgienkrieg: "Georgien handelt rechtmäßig"
Der Kieler Völkerrechtler Andreas Zimmermann sieht in Südossetien kein geschütztes "De-facto-Regime". Russland durfte deshalb militärisch nicht zu Hilfe kommen.
taz: Herr Zimmermann, Georgien beansprucht Südossetien als eigenes Staatsgebiet. Zu Recht?
Andreas Zimmermann: Ja. Georgien wurde 1991 in den Grenzen der ehemaligen Sozialistischen Sowjetrepublik Georgien unabhängig. Ein neuer Staat entsteht immer in den alten Grenzen. Deshalb gehören auch die abtrünnigen Gebiete Südossetien und Abchasien völkerrechtlich zu Georgien.
Doch zweimal haben sich die Südosseten in Volksabstimmungen für die Unabhängigkeit ausgesprochen.
Völkerrechtlich gibt es grundsätzlich kein Recht auf Sezession, also auf Abspaltung von einem anderen Staat. Südossetien bildet damit immer noch einen Teil Georgiens.
Russland wirft dem Westen Doppelmoral vor, weil die Sezession Kosovos von Serbien anerkannt wurde. Ein berechtigter Vorwurf?
Meines Erachtens ja. Dass mehr als vierzig Staaten, inklusive Deutschland, Kosovo anerkannt haben, ändert nichts daran, dass solche Abspaltungen grundsätzlich unzulässig sind.
Ist der georgische Militäreinsatz in Südossetien also gerechtfertigt?
Grundsätzlich ja. Ein Staat darf den Versuch einer Abspaltung eines Teils seines Gebiets auch mit Waffengewalt verhindern.
Ist Südossetien nicht faktisch längst ein eigener Staat?
Ein richtiger Staat ist Südossetien sicher nicht. Es ist ja auch von keinem anderen Staat bisher anerkannt worden. Südossetien könnte aber ein De-facto-Regime darstellen und wäre dann vom völkerrechtlichen Gewaltverbot geschützt. So gehört Taiwan zum Beispiel völkerrechtlich noch zu China, darf als De-facto-Regime dennoch nicht von China zurückerobert werden. So gefestigt ist Südossetien aber noch nicht. Nach meiner Auffassung ist der georgische Militäreinsatz daher noch zulässig.
Kann Georgien also in Südossetien machen, was es will?
Nein, natürlich nicht. Georgien muss sich an die Regeln des humanitären Völkerrechts halten. Es darf zum Beispiel keine zivilen Ziele angreifen. Beim Angriff auf militärische Ziele darf es nur verhältnismäßige zivile Kollateralschäden verursachen. Ob sich Georgien an diese Regeln hält, dazu liegen mir keine gesicherten Informationen vor.
Durfte Russland in Südossetien intervenieren?
Nein. Russland durfte aufgrund eines Abkommens von 1992 zwar fünfhundert Soldaten als Friedenstruppen in Südossetien stationieren. Doch der jetzige Einsatz geht weit darüber hinaus. Russland durfte Südossetien auch keine Nothilfe leisten, da der georgische Militäreinsatz gegen die Abspaltung im Prinzip rechtmäßig war. Außerdem kommt auch eine humanitäre Intervention Russlands zum Schutz der Zivilbevölkerung bisher nicht in Betracht. Wenn überhaupt, müssten schon sichere Erkenntnisse über dauerhafte und massive Menschenrechtsverletzungen der georgischen Truppen vorliegen.
Die meisten Südosseten haben russische Pässe. Darf Russland seine Staatsbürger nicht schützen?
Die Vergabe der Staatsangehörigkeit an Einwohner anderer Staaten ist völkerrechtlich sehr problematisch. Selbst wenn sie hier zulässig wäre, weil es sich um Staatsangehörige der früheren UdSSR handelt, kann der Schutz eigener Staatsangehöriger keine breit angelegte militärische Intervention rechtfertigen.
Ist Südossetien ein Fall für internationale Gerichte?
Wenn es zu Menschenrechtsverletzungen kommt, könnte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg angerufen werden, da Russland und Georgien Mitglied des Europarats sind. Individuelle Militärs könnten auch vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag angeklagt werden, wenn zum Beispiel Kriegsverbrechen auf georgischem Staatsgebiet begangen wurden, denn Georgien hat das Statut des Gerichtshofs ratifiziert.
INTERVIEW: CHRISTIAN RATH
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