Prêt-à-porter: Vive la Bagatelle!
■ Glück für uns alle: Vivienne Westwood bekämpft das Dreieck mit den Mitteln der Vase. Bei Martin Margiela laufen zwei Schneiderpuppen durch Paris
Als Vivienne Westwood über den Laufsteg schritt, war niemandem zum Lachen zumute, obwohl sie ihren Models nur bis knapp zum Zwerchfell reichte. Es war ihr Abschied von Paris – im nächsten Jahr wird sie ihre Kollektion wieder in London zeigen. Dem Anlaß angemessen gekleidet trug sie einen schmalen grauen Rock, der züchtig die Knie bedeckte, und eine untadelige weiße Bluse. Sie sah aus wie die Chefin eines Couturehauses, die sie nun doch nicht geworden ist. Nach dramatischem Hin und Her hat Alexander McQueen am Donnerstag den Vertrag für Givenchy unterschrieben, und damit war gleichzeitig Dior vergeben – an John Galliano, bisher Chefdesigner von Givenchy. Ach, es war traurig.
„Vive la Bagatelle“ nannte Westwood ihre Kollektion, und das war ein Glück für uns alle. Die meisten Designer bevorzugen im Augenblick geometrische Formen: Acht Dreiecke um ein Kleid herzustellen, das dann aussieht – wie ein Dreieck. Bagatellen können dagegen vieles sein, nur nicht dreieckig. Vivienne Westwood gab ihren Models die Form einer Vase. Bleistiftröcke reichten damenhaft bis eine Handbreit über das Knie, ein breiter Bund schnürte die Taille ein. Die Kostümjacken waren eng und tailliert, mit ganz leicht angepufften Ärmeln und einem weit auseinandergezogenen tiefen Ausschnitt, so daß die kleinen Kragenzipfel auf dem Busenansatz lagen, wo sie beim Gehen fröhlich auf und ab wippten.
Oh, es war alles da, was ich an Westwoods Kollektionen liebe: Eine ganz unromantische Frivolität, und Formen, die, selbst wenn sie sich an historischen Schnitten orientieren, immer etwas von der atemberaubenden Eleganz der fünfziger Jahre haben. Aber im nachhinein hat sich dem Enthusiasmus etwas Schales beigesellt. Das ist die Schuld von Martin Margiela.
Im Showroom von Margiela führt eine Frau die neue Kollektion vor. Sie trägt umgekrempelte Jeans und eine ärmellose Weste aus einem braunen, groben Stoff, der etwas an einen Kartoffelsack erinnert. Der Stoff ist mit Kartoffelstärke behandelt worden – deshalb hat er eine der weiblichen Figur nachempfundene Form. Er ist sozusagen ein vorgeformter Körper, den man über den eigenen Körper zieht. Diese Weste hat einen Stehkragen, ist tailliert und reicht bis zum Oberschenkelansatz. Geschlossen wird sie vorne durch 25 kleine Haken. Beide Teile, Jeans und Weste, werden wie eine Art Unterkleid getragen, über das die eigentlichen Kleidungsstücke gebunden werden: Gebunden deshalb, weil Rock, Pullover und Kleid nur eine Vorderseite haben. Die Rückenteile sind weggelassen.
Anschließend sehe ich mir das Video an, und da trifft es mich wie ein Schlag. Erst jetzt verstehe ich die Bedeutung dieser vorgeformten Sackweste. Das ist eine Schneiderpuppe! Auf dem Bildschirm vor mir laufen zwei Schneiderpuppen durch Paris. Deutlich sieht man die Markierungen, die anzeigen, wo Brust, Taille und Hüfte gemessen werden. Ich hätte am liebsten den Fernseher eingetreten. So eine verdammte Frechheit! Natürlich ist es verdammt clever: Ein deutlich vorgeformter Körper sitzt über einem individuellen Körper und verbirgt ihn. Eine Frau trägt über diesem Ding den Bruchteil eines Kleides. Die rechte Seite der Brust ist mit einem dicht gefälteltem, schwarzen Musselin bedeckt, der mit weißem Faden auf kreuzförmig verlaufenden Gummibändern geheftet ist, an der Seite hängt ein Stück Rock herunter, ebenfalls mit weißem Faden festgeheftet. Man sieht genau, mit welchen Methoden dem Kleid die gewünschte Form gegeben wird – und damit natürlich auch dem weiblichen Körper. Natürlich hat Margiela recht. Aber er hat nicht das Recht, es zu sagen. Hier ist nicht das geringste von dem wilden Haß auf das sogenannte „Feminine“ zu spüren, der Kawakubo zu den entsetzlichen Verstümmelungen des Körpers antreibt. Was Margiela mit dem weiblichen Körper treibt, ist intellektuelle Spielerei. Und die erlaube ich ihm nicht. Anja Seeliger
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