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Vier Spuren kommen wegWilhelmsburg kriegt eine Mitte

Mitten in Wilhelmburg entsteht ein neues Quartier – ab 2019 sollen da, wo bisher die Reichsstraße verläuft, Wohnungen und Gewerbeflächen entstehen

Umstritten: Wohnungsbau in Wilhelmsburg Foto: Malte Christians/dpa

Ein „Erfolgsprojekt“ nannte der Leiter des Bezirksamts Mitte, Falko Droßmann, die geplante Verschiebung der Reichsstraße um 500 Meter. Und Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeld (beide SPD) sprach gestern von einem „ganz neuen Stück Wilhelmsburg“.

Was die beiden da so ins Schwärmen brachte, ist die Verlegung der vierspurigen Straße, die mitten durch das nördliche Wilhelmsburg läuft. Seit Juni 2013 ist das beschlossene Sache, und bereits im August 2013 erfolgte der erste Spatenstich. Was aber mit der frei werdenden Fläche von insgesamt 41 Hektar passieren sollte, war lange unklar. Gestern nun präsentierte die Stadtentwicklungsgesellschaft IBA den Sieger des Architekturwettbewerbs.

Gewonnen hat das Schweizer Planungsbüro Hosoya Schaefer Architects. Ihr Entwurf sieht vor, am westlichen Rand der Fläche – entlang des Aßmannkanals – die Kleingartensiedlungen größtenteils zu erhalten. Die KleingärtnerInnen hatten vorab Kritik geäußert, weil sie befürchteten, ihre Flächen zu verlieren. Daraufhin richtete die IBA ein Beteiligungsverfahren ein, bei dem AnwohnerInnen mit Online-Fragebögen und in Workshops Wünsche äußern konnten. Alle Kleingärten können dennoch nicht erhalten werden – aber die, die weichen müssen, sollen durch Nachverdichtung teilweise wiederhergestellt werden.

Östlich der Kleingärten, in der Mitte der Fläche, ist ein Gebiet geplant, in dem sich Grünzüge, Wohnungsbau und Gewerbegebiet verzahnen sollen. Weiter östlich ist eine „geschlossene Blockrandstruktur“ gegen die Schallisolierung an den Bahngleisen vorgesehen – also Beton.

Nord-Süd-Achse

Nord-Süd-Achse ist der Arbeitstitel für das Gebiet, das nach der Verlegung der Reichsstraße in Wilhelmsburg entwickelt wird.

Baubeginn soll 2019 sein.

Begrenzt wird das Gebiet im Norden vom Ernst-August-Kanal, im Osten vom Jaffe-Davids-Kanal und im Süden durch die Rotenhäuser Straße. Der Aßmannkanal ist die westliche Grenze.

2.200 Wohnungen sind geplant, außerdem Gewerbezeilen und Grünflächen sowie ein Radschnellweg.

Wie viele Sozialwohnungen geplant sind, wo diese liegen, wer sie bauen darf, wo die Eigentums- und die Mietwohnungen angedacht sind – all das konnten gestern weder die PlanerInnen der IBA, noch der Architekt Markus Schaefer sagen. Am Drittelmix, der jeweils ein Drittel Sozialwohnungen, freie Mietwohnungen und Eigentumswohnungen vorsieht, wollen sie aber festhalten. Insgesamt sollen 2.200 Wohnungen entstehen – aber das kann viele Jahre dauern. „Wenn wir 300 pro Jahr bauen können, wäre das schon gut“, sagte Oberbaudirektor Jörn Walter.

Das reicht einigen AnwohnerInnen nicht. „Die Wohnungsnot ist in Wilhelmsburg so groß, dass wir mehr als ein Drittel günstigen Wohnraum brauchen“, sagte Michael Rothschuh vom Verein Zukunft Elbinsel. Außerdem beziehe sich die Drittelvorgabe auf die Anzahl der Wohnungen, nicht auf die Fläche – da Eigentumswohnungen in der Regel größer sind als Sozialwohnungen, werde am Ende lediglich ein Sechstel der Fläche für Sozialwohnungen genutzt. „Da fragt man sich“, so Rotschuh, „ob für Wilhelmsburg gebaut wird, oder für eine Zielgruppe, die hier gar nicht lebt?“

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2 Kommentare

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  • Die Frage von Michael Rothschuh ist leicht zu beantworten: Die 2.200 Wohnungen dort und die 1.000 direkt südlich an der Dratelnstraße und die vielen anderen Wohngebiete, die in Wilhelmsburg entwickelt werden, summieren sich zu Wohnraum für 10.000 Menschen. Dass diese 10.000 Menschen nicht alle jetzt schon in Wilhelmsburg wohnen, ist mit Sicherheit so. So riesig ist der Bedarf aus dem Stadtteil heraus ja nun auch wieder nicht. Und wenn ein lange Zeit sozial sehr homogener Stadtteil etwas heterogener wird, ist das auch nicht schlimm. Vielfalt ist gut.

    • @AlexA:

      Witzigerweise ist der Wortführer der Initiative selbst kein waschechter Wilhelmsburger, sondern aus dem Südwesten Deutschlands zugezogen... was ja nicht schlimm ist. Sich aber darüber zu empören, dass es gezielt um Wohnraum für Neu-Wilhelmsburger geht, ist schon merkwürdig. Auch in Wilhelmsburg ist die Geburtenrate so niedrig, dass die Einwohner nicht einmal ihre Zahl halten könnten, wenn es keinen Zuzug gäbe. Und dass auch ein paar Leute aus der Mittelschicht dort Platz finden, kann ganz gut tun. Bei einer anderen Diskussion hat es aber jeder der Beteiligten anerkannt, dass es eine U4-Verlängerung gen Süden erst dann geben wird, wenn die Einwohnerzahl der anzubindenden Quartiere hoch genug ist, um die Strecke halbwegs wirtschaftlich betreiben zu können. Man kann's auch nie recht machen ...