heute in bremen
: „Viele mussten sich neu erfinden in diesem Jahr“

Foto: Markus Hallaschka

Heike Seyffarth, 54, ist Kuratorin und Künstlerin.

Interview Sophie Lahusen

taz: Frau Seyffarth, Ihre Online-Ausstellung handelt vom Thema der Suche. Nach was?

Heike Seyffarth: Das Ausstellungsprojekt ist eingebettet in einen größeren Kontext. Als Teil der Organisation Visionskultur konnte ich über das Jahr im ehemaligen Bundeswehrhochhaus in der Falkenstraße sechs Ausstellungen kuratieren, diese ist die letzte. Dort hatten wir das „Creative Hub Bremen“ als Zwischennutzung etabliert. Der Nutzungsvertrag läuft aus und alle Beteiligten sind jetzt auf der Suche nach etwas Neuem – nach neuen Räumen und Visionen. Es ist also eine Suche, die die Gemeinschaft von Visionskultur umgetrieben hat.

Und inhaltlich?

Zum anderen geht es bei dem Thema Suche natürlich auch um die allgemeine Befindlichkeit nach diesem Jahr 2020. Es ist eine Gruppenausstellung und da ergaben sich als gemeinsame Themen: Wo stehe ich in meinem Leben? Wo geht es hin? Viele mussten sich ja neu erfinden in diesem Jahr.

Ist die Ausstellung auch für die Betrachtenden wie eine Suche?

Es geht darum, Dinge zu finden, idealerweise die Idee des Künstlers oder auch Dinge, die in einem selbst sind. Das sind Dinge, die hervorgekitzelt werden, im Sinne einer Provokation oder eines Aha-Erlebnisses. Vor allem bei abstrakten Bildern passiert im Kopf bei jedem etwas anderes.

Vor allem bei abstrakten Bildern suchen Betrachtende aber doch auch meist nach etwas Bekanntem: Wie geht die Ausstellung damit um?

Das ist ein ganz normaler Vorgang, auch im Museum. Es geht darum, Dinge einzuordnen und abzugleichen, die unserem Erfahrungs-Hintergrund entsprechen. Das ist bei der Ausstellung nicht anders, aber dadurch, dass sie vor allem online ist, gab es nicht die Möglichkeit, bestimmte Hintergründe zu erklären. Das habe ich versucht, durch Texte auszugleichen, was wirklich ein Balanceakt ist. Man möchte zwar Informationen geben, aber gleichzeitig möchte man die Leute durch zu viel Text nicht entmutigen. Bei einer normalen Ausstellung haben wir immer Rahmenangebote gemacht, wie Salons oder Vorträge.

Online-Ausstellung: “Auf der Suche”

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Sie arbeiten schon viele Jahre als Kuratorin. Blutet Ihr Herz nicht bei einer Ausstellung, die online ist?

Ja, mein Herz blutet dabei. Das Schönste ist, vor einem Originalwerk zu stehen und dessen Schwingungen zu spüren, sich vielleicht mit einer Person auszutauschen, die neben einem steht. Es geht auch darum, nochmal hinzugehen und beim zweiten oder dritten Mal neue Dinge zu sehen, vielleicht vom Unterbewusstsein inspiriert. Diese wiederholte Erfahrung gibt es online wahrscheinlich seltener. Auch die Größe des Werks kann online kaum wiedergegeben werden. Ob ein Bild so groß ist wie man selbst oder nur so groß wie eine Briefmarke ist zentral für seine Wirkung. Das kann ein Bildschirm nicht wiedergeben.

Wie erleben Sie die Möglichkeit momentan, Kultur ins Internet zu verlegen?

Das ist nicht das Beste, aber eine gute zweite Wahl. Je mehr ich mich damit beschäftige, umso mehr Positives sehe ich auch: Plötzlich können Menschen rund um die Welt die Ausstellung anschauen und Rückmeldung geben. Vorher wäre wahrscheinlich niemand aus Amerika oder Neuseeland für eine Ausstellung nach Bremen gekommen.