: Viele Anzeigen – kaum Verurteilungen
POLIZEI Wie oft begehen Berliner PolizistInnen Körperverletzung im Amt? Darüber gab der Innensenator Auskunft
Besonders wohl dürfte Innensenator Frank Henkel (CDU) nicht gewesen sein, als er innerhalb weniger Tage zwei nahezu identische Anfragen auf den Tisch bekam: Die Abgeordneten Oliver Höfinghoff (Piraten) und Hakan Tas (Linke) wollten wissen, wie viele Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung im Amt gegen Berliner PolizeibeamtInnen eingeleitet werden – und was am Ende daraus wird. Tatsächlich belegen die jetzt veröffentlichten Zahlen etwas, was es in Henkels Weltbild eigentlich gar nicht gibt: Die angezeigten Fälle polizeilicher Übergriffe bewegen sich regelmäßig im Bereich von mehreren Hundert.
Im Jahr 2007 etwa zogen 771 Fälle Ermittlungs- und Strafverfahren nach sich. Hinzu kamen 29 Fälle, die disziplinarisch abgehandelt wurden. 2008 sanken die Zahlen kurzfristig auf 636 (22), um im Folgejahr auf den bisherigen Höchststand von 748 (33) hochzuschnellen. Seit 2010 gehen die Verfahrenszahlen zurück, 2012 waren es noch 479 (15) Fälle. Das laufende Jahr lässt derzeit noch hoffen: Bislang wurden erst 13 Straf- und ein Disziplinarverfahren eingeleitet.
So erschreckend hoch die Zahlen auch sind: Der Fairness halber muss darauf hingewiesen werden, dass sie insgesamt einen deutlichen Rückgang polizeilicher Übergriffe dokumentieren. Eine ähnliche Anfrage nämlich hatte vor rund sieben Jahren schon einmal die taz gestellt. Und damals lagen die Zahlen erheblich höher. Im Jahr 2001 waren gegen Berliner Polizisten und Polizistinnen nicht weniger als 2.440 Strafverfahren eingeleitet worden, 2002 waren es 2.244. Danach gingen die Fallzahlen zurück, lagen aber immer noch viel höher als jetzt (2005: 1.799 Fälle). Auch wenn dies längst noch nicht ausreicht, hat die Berliner Polizei offenbar einen Lernprozess durchgemacht.
Ganz anders sieht die Sache auf Seiten der Justiz aus. Denn zumeist enden die Verfahren schon im Vorfeld einer Prozesseröffnung mit der Einstellung. Im Jahr 2008 wurden 615 solcher Verfahren eingestellt, in sechs weiteren Fällen wurden die Beamten vom Vorwurf der Körperverletzung im Amt freigesprochen. Verurteilungen: 0. Ganz ähnlich ist die Situation in den folgenden Jahren, auch wenn es hier zu einzelnen Verurteilungen kam (2009: 5, 2010: 5, 2011: 2, 2012: 2).
Über das jeweilige Strafmaß geben die Behörden leider keine Auskunft. Bekannt ist dies nur in einem Fall, der wiederum in Henkels Statistik fehlt: So wurde in Frankfurt am Main ein „Angehöriger der Berliner Polizei“ zu einem Strafbefehl über 1.800 Euro verurteilt. Er war bei einem Unterstützungseinsatz für die hessische Polizei der fahrlässigen Körperverletzung für schuldig befunden worden.
Und auch wenn die Angaben der Justiz nicht unmittelbar mit den im selben Zeitraum eingeleiteten Ermittlungsverfahren zu vergleichen sind – es handelt sich bei den Justizverfahren im Regelfall um Vorgänge aus vorherigen Jahren –, so sprechen sie doch eine deutliche Sprache: Wirkliche Sorgen muss sich ein der Körperverletzung beschuldigter Beamter in erster Linie um sein rasches berufliches Weiterkommen machen. Denn solange ein Verfahren läuft, besteht eine Beförderungssperre.
OTTO DIEDERICHS