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Viel Rauch um Anna

■ Das Musical „Cabaret“ im Thalia – ein mitreißender Weg in den unvermeidlichen Untergang Von Sven Tietgen

Nebel wallt, ein Trommelwirbel, dann hebt sich der blaue Lametta-Vorhang. Im Scheinwerferlicht steht der Conférencier des Kit-Kat-Clubs, und kaum intoniert er mit „Willkommen“, „Bienvenue“ und „Welcome“ das Intro des Titel-songs, geht im nächsten Moment auch schon die Post ab: Das fabelhafte Orchester um Heribert Feckler tritt in Strapsen auf, der Conférencier klettert die Wendeltreppe herunter und stellt die Revue-Girls des Nachtklubs vor. Dann erscheint der Star des Abends. Anna Montanara, die als Sally Bowles mit ihrem Song „Mama darf nichts wissen“ ihre Identität als Nachtclubsängerin zum Thema macht. Ihr Partner ist der Autor Clifford Bradshaw (Norbert Conrads).

Die Story, verkürzt: Bradshaw reist 1929 nach Berlin und mietet sich in der Pension von Fräulein Schneider ein. Im Kit-Kat-Club trifft er Sally und verliebt sich die Nachtclubsängerin. Der jüdische Obsthändler Herr Schultz wohnt ebenfalls in der Pension und verwöhnt seine Vermieterin mit exotischem Obst. Als die Verlobung bevorsteht, schlägt dem Juden der Hass von Nazi-Banden entgegen: Die Fenster seines Obstladens werden eingeworfen; Fräulein Schneider sagt die Heirat ab.

Clifford Bradshaw möchte mit Sally Berlin schnellstens verlassen – aber Sally interessiert sich ebenso wenig für Politik wie der Conferencier.

Spielepisoden und Musikszenen werden vom Conférencier zusammengehalten. Ob als zynischer Clown, dämonisch grinsend, halbnackt oder hinkend – die mephistophelische Figur versprüht beißenden Sarkasmus. Schlicht und ergreifend „Nik“ nennt sich der Sänger und Tänzer, der mit seiner tiefgründigen Wandlung vom komödiantischen Moderator zum zynischen Kommentator des Dramas brilliert.

Da hat es Anna Montanara nicht eben leicht, neben dieser Schauspiel-Ikone zu bestehen. Natürlich ist sie keine Ute Lemper, keine Liza Minelli. Aber die Schauspielerin aus Gifhorn ist eine durchaus eigenständige Künstlerin, die die anspruchsvolle Figur der Sally Bowles mit all ihren widersprüchlichen Gefühlen überzeugend verkörpert.

Einen wunderbaren, anrührenden Part bieten Friedhilde Filser als Bradshaws Zimmerwirtin Fräulein Schneider und Claus Dam als Obsthändler Schulz. Beide überzeugen durch eine einfühlsame Darstellung ihres zaghaften Liebesglücks wie auch dessen tragischen Ende.

Insgesamt ist es dem Düsseldorfer Capitol Theater mit dieser Originalinszenierung von Cabaret in einzigartiger Weise gelungen, gute Rollen, eine fabelhafte Musik, Unterhaltung und eine runde Geschichte mit politischem Anspruch zu verbinden – ohne den Zeigefinger zu erheben.

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