piwik no script img

Viel Arbeit, wenig Sex

■ Glaubt man der Herrenmode für Sommer 98, denken schon Internatsschüler nur an die Börse. Mann zeigt dann wenig Haut, dafür aber viel Hochgeschlossenes

Die gucken zurück, die Männermodels! Bei Hermes haben sie die Zuschauer sogar ständig angelächelt. Gute Taktik. Wenn ich mir einen Körper ansah, hochguckte und feststellen mußte, daß ich dabei lächelnd beobachtet wurde, fühlte ich mich doch irgendwie ertappt.

Also sah ich den Models erst ins Gesicht, lächelte entschuldigend zurück und guckte dann auf den Körper. Männermodels bieten ihren Körper nicht den Blicken dar, die gewähren den Blick. Daß ich nach zehn Minuten aufhörte, um Erlaubnis nachzusuchen, war ein reiner Willensakt.

Bei diesen Schauen gibt es im wesentlichen zwei Typen. Die Models bei Hermes, Montana und Bikkembergs sind keine Muskelprotze, aber recht kräftig. Ihre Figuren erinnern an Leichtathleten aus einer Zeit, als noch niemand wußte, was Steroide sind. Die Brust ist immer rasiert, Haarstreifen, die vom Nabel zum Geschlecht führen, sind jedoch erlaubt. Sehr junge, sehr dünne Models gab es vor allem bei Dries van Noten und Hugo.

Im Gegensatz zu den weiblichen Models, die immer mit gleichen Frisuren und dem gleichen Make-up auftreten, ist den männlichen Models Individualität gestattet. Sie haben ihr eigenes Gesicht, ihre eigene Frisur und ihre eigene Brille. Der wichtigste Unterschied zu den Frauen ist jedoch, daß der männliche Körper in seinen Proportionen akzeptiert wird. Die männlichen Models sind nicht größer als der Durchschnittsmann, nicht schlanker als die meisten unter Dreißig, und sie haben keine besonders langen Beine. Anzüge, mit ihren Jacken, die bis über den Hintern reichen, unterstreichen ohnehin eher die Länge des Torsos, als die der Beine. Auch Freizeithemden und T-Shirts, die fast immer über der Hose getragen werden, verlängern optisch den Oberkörper. Die Badehosen bei Hermes und Bikkembergs haben keine hohen Beinausschnitte, sondern schließen gerade ab.

Männer werden im nächsten Sommer sehr viel arbeiten, sehr wenig Freizeit und noch weniger Sex haben. Vielleicht fürchten die Designer aber auch nur, daß es ein sehr kalter Sommer wird. In zwanzig Schauen habe ich fünf ärmellose Pullover gezählt. T-Shirts sind entweder hochgeschlossen oder haben einen so winzigen V-Ausschnitt, daß er gerade eben die Halsmulde offenlegt. Bei Hugo trugen die Jungs zu ihren schwarzen Halbarmhemden dunkelblaue Krawatten. Mit ihren nassen, gescheitelten Haaren sahen sie aus wie Internatsschüler, die in den Ferien an der Börse jobben. Keine Zeit für Mädchen.

Bei José Levy waren selbst die Freizeithemden bis zum Kragen zugeknöpft. Einige Models trugen darüber sogar noch einen Strickpullunder. Die Blousons waren schlicht, gerade und geschlossen, die Anzüge immerhin ein wenig aufgelockert durch farbige Paspeln an den Säumen und Nähten. Levy kleidet einen Männertyp ein, für den die Briten das Wort „geek“ erfunden haben. Das ist so eine Art ewiger Schüler. Die Sorte, die Faxen macht, wenn sie ein Mädchen beeindrucken will. Jerry Lewis war der erste, Bill Gates ist vorläufig der letzte.

Eigentlich nicht unsympathisch. Aber Levy machte den Fehler und zeigte auch einige Frauenkleider. Am Ende der Schau kannte man von jedem weiblichen Model die Form der Brüste. Die Jungs dagegen trugen unter ihren weißen Hemden T-Shirts! Statt mütterliches Mitleid zu erwecken (auch eine Art von Liebe), wirkte diese ganzen Verklemmtheit plötzlich ausgesprochen aggressiv.

Dries van Noten steckte seine Models in unwahrscheinlich weite Hosen, die auch noch viel zu lang waren. Darüber eine Art Kaftan mit Kapuze aus Sweatshirtstoff, der bis zu den Knien reichte, und eine Jacke. Die Pullis ließen ein wenig Haut durchschimmern, aber alles in allem sagten die Kleider: Rühr mich nicht an! Ich bin noch nicht alt genug für Sex. Anja Seeliger

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen