Videoüberwachung: Linse unter der Fensterbank

Ein Buchhalter wird im Büro heimlich mit einer Kamera beobachtet, die angeblich nicht funktioniert. Polizei zeigt sich hilflos, Datenschützer erkennt rechtswidrigen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte.

Optisch wenig spektakulär: Dennoch wurde im Fall von Hartmut Knoll ein Buchhaltungsbüro zum Drehort. Bild: DAK

Er ist ein erfahrener Gewerkschafter: Hartmut Knoll (Name geändert), 43, war Betriebsrat einer Metallfirma, führte seine Belegschaft in den Arbeitskampf und sogar in eine Betriebsbesetzung, um eine vom Firmeninhaber gewollte Insolvenz abzuwenden. Vergebens: Der gelernte Einzelhandelskaufmann landete in der Arbeitslosigkeit, wurde von der Arbeitsagentur an eine Zeitarbeitsfirma vermittelt. Und über diese landete er in einem Metallbetrieb nahe Itzehoe, in der Buchhaltung. Nach einem halben Jahr machte er eine abenteuerliche Entdeckung.

Durch Zufall bemerkte Knoll ein merkwürdiges Licht in einer Konsole unterhalb der Fensterbank in seinem Büro. Knoll dachte zunächst an eine Art Dimmer - bis er die gewölbte Linse sah, die in Richtung seines Schreibtischs lugte. "Ich war mir sicher, dass das eine Fotozelle war."

Was tun? Als Leiharbeiter hätte Knoll von einem Tag zum anderen seinen Job verlieren können. Andererseits: An einen Betriebsrat hätte er sich ohnehin nicht wenden können: In dem mittelständischen Betrieb gab es nämlich keinen. "Die verängstigten Kollegen konnte ich nicht heranziehen", sagt Knoll: "Viele hatten befristete Arbeitsverhältnisse."

Betrieblicher Datenschutz ist in vielen Firmen ein Fremdwort, was die Videoüberwachungs-Affären in den vergangen Monaten gezeigt haben.

Das informationelle Selbstbestimmungsrecht ist vom Bundesverfassungsgericht im so genannten Volkszählungsurteil definiert worden und wird aus Artikel 2 Abs. 1 des Grundgesetzes abgeleitet, der ein Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit garantiert.

Die schutzwürdigen Interessen des Beschäftigten regelt §32 Bundesdatenschutzgesetz. Personenbezogene Daten dürfen nur dann erhoben werden, wenn zu dokumentierende tatsächliche Anhaltspunkte den Verdacht begründen, dass der Beschäftige im Betrieb eine Straftat begangen hat.

Kurzerhand wandte sich Knoll an die Polizeidirektion Itzehoe. Die verdutzten Beamten fühlte sich nicht zuständig und gaben den Fall an den Staatsschutz in Itzehoe weiter. Aber auch der wollte mit der Angelegenheit nichts zu tun haben und reichte sie weiter - an die örtliche Polizeistation. Woraufhin auch tatsächlich wenig später ein Polizeibeamter im Betrieb erschien und die Konsole öffnete. "Die Videokamera war direkt auf Knolls Arbeitsplatz gerichtet und über eine Funkverbindung an einen Server angeschlossen", sagt Knolls Anwältin Mechthild Garweg. Damit seien die Bilder "jederzeit und ortsunabhängig" zu erfassen gewesen.

Wie ihr Mandant geht die Juristin davon aus, dass irgendwer die Daten auch gespeichert haben dürfte, was sich aber nicht mehr beweisen lässt. Zwar zog der aufgebrachte Geschäftsführer den externen Datenschutzbeauftragten hinzu - dieser allerdings war zugleich EDV-Systemadministrator der Firma. Seinen Angaben zufolge war die Kamera unter der Fensterbank gar nicht funktionsfähig. Das Videoauge sei angebracht worden, weil Knolls Vorgänger den Firmencomputer für private Zwecke genutzt habe - auch nachts. Zudem habe die Kamera der Überwachung des Firmentresors gedient - was mit dem tatsächlich eingestellten Blickwinkel allerdings nicht möglich war.

Der örtliche Polizeibeamte war überfordert und nahm unter Verweis darauf, dass es sich um Arbeitsrecht handele, keine Anzeige Knolls auf. Vielmehr begnügte er sich mit den Angaben des vermeintlichen Datenschützers und verzichtete auf eine Beweissicherung: Die Kamera beschlagnahmte er nicht.

Für Anwältin Garweg zeigt der Fall "deutlich, dass hier der externe Datenschutzbeauftragte in fragwürdiger Weise gehandelt hat und gegen seine gesetzlichen Pflichten zur Einhaltung von Datenschutzvorschriften im Betrieb verstoßen hat". Sie schaltete das unabhängige Landeszentrum Datenschutz Schleswig-Holstein ein.

Einen "klaren Verstoß gegen das Bundesdatenschutzgesetz" sieht auch Moritz Karg vom dortigen Datenschutzzentrum für Wirtschaftsbetriebe. So etwas werde mit einem Bußgeld geahndet. Es sei in die Persönlichkeitsrechte "heimlich tief eingedrungen worden", sagt Karg: Betriebliche Videoüberwachung habe grundsätzlich öffentlich und nicht verdeckt zu erfolgen. Die verdeckte Überwachung sei laut Bundesarbeitsgericht nur dann zulässig, wenn sie zur Aufklärung von Straftaten führe.

Die Gründe, die in Knolls Fall vorgebracht wurden, "reichen nicht aus", sagt Karg. Datenschutzrechtlich sei es "egal", dass Knoll Leiharbeiter war: Ein Eingriff in die Persönlichkeitsrechte sei sogar die heimliche Überwachung von Besuchern. Bei Knoll hingegen komme eine "Vertrauensbeziehung" hinzu.

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