Videoüberwachung in Berlin: Die Normalität des Spionierens

Im Nahverkehr und vor Behörden ist Videoüberwachung inzwischen Standard. Wie viele Kameras tatsächlich in Berlin hängen, kann man nur schätzen.

Augen überall: Kameras gucken zu Foto: picture alliance/Carsten Rehder/dpa

Das Essen aus der indonesischen Systemküche ist ganz ausgezeichnet in der Londoner Shaftesbury Avenue. Wer aber den Blick hebt, bemerkt, dass in der Ecke über der Bar, unscheinbar, aber nicht versteckt, eine Kamera auf den Teller gerichtet ist. Rindfleisch, Padang Style. Vorbei fahren die roten Doppelstockbusse, sämtlichst mit Kameras überwacht. An Wohngebäuden, Eckläden, vor Behörden und Vereinshäusern, an Kirchen und Kliniken: überall Kameras. Häufig, aber nicht immer warnen Schilder vor CCTV, Closed Circuit Television.

Auch in Berlin werden solche Hinweise häufiger. Vor allem im Nahverkehr und an Behörden sind die Kameras inzwischen Standard. Der flächendeckende Einsatz im privaten Raum aber ist noch nicht erreicht. Einen Platz in den Top 20 der am meisten überwachten Städte gibt es für Berlin dennoch, Nummer 19, gleich nach Moskau, der dritten europäischen Metropole in der von chinesischen Städten dominierten Liste.

Erstellt vom Portal „Comparitech“, das für diverse, mit Technologie verbundene Phänomene vergleichende Listen entwickelt, scheint diese Aufstellung vor allem Vorurteile zu bestätigen. Neben der Zahl der Kameras je 1.000 Einwohner*innen (Berlin: gut 11 Stück) werden auch ein mittels Befragungen erstellter Kriminalitäts- und ein Sicherheitsindex beigestellt (Berlin: geht so). Interessant ist dabei die empirische Grundlage für die Auflistung. Comparitech geht vorbildlich transparent mit der Quellenlage um. Wer will, kann diese in einer offen zugänglichen Tabelle nachvollziehen.

Wer sich diese Mühe macht, wird schnell feststellen, dass die Zahl der Kameras im Wesentlichen geraten ist. Niemand ist in der Lage, alle elektronischen Augen zu zählen. Manchmal sind die Quellen lediglich ältere Presseberichte über geplante Überwachungsvorhaben in China, manchmal offiziöse Schätzungen und bisweilen informierte, aber eben nicht sichere Hochrechnungen.

Valide Vermutungen

Allein für London fällt es selbst bürgerrechtlich engagierten Organisationen schwer, eine halbwegs valide Vermutung anzustellen, wie viele Kameras es gibt. Kein Wunder, nicht einmal die verschiedenen Behörden melden ihre Kameras an zentraler Stelle. Die Schwankungsbreite der Schätzungen liegt bei bisweilen mehreren 100.000 Kameras. Berlin nähert sich London immer mehr an. Der Mangel harter Regulierung schon des Verkaufs von Überwachungstechnologie macht es praktisch unmöglich, ihre Einsatzorte im Blick zu behalten.

Insofern ist eine Liste wie die von Comparitech nicht viel mehr als eine Indiziensammlung. Letztlich ist es aber vielleicht gar nicht so wichtig, ob Berlin nun unter den Top 20 oder 50 der meistüberwachten Städte rangiert. Die Normalität des permanenten Spionierens in der Privatsphäre, die sich mit jeder installierten Kamera verfestigt, zu hinterfragen, dafür kann man das Ranking schon zum Anlass nehmen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.