Videospiele im Kinderzimmer: Gewaltiges Missverständnis
Führt der starke Konsum von Videospielen zu mehr Gewalt bei Kindern? US-Forscher haben eine Studie vorgelegt, die diese altbekannte Annahme widerlegt - wenn das Maß stimmt.
Nachdem in der letzten Woche auch in Deutschland das viel gehypte Actionspiel "GTA IV" auf den Markt gekommen ist, flammt die altbekannte Diskussion neuerlich auf: Wie gefährlich sind Videospiele, die Gewaltdarstellungen enthalten, für Jugendliche? Und führt ihr regelmäßiger Konsum zu mehr realer Gewalt? Gibt es Zusammenhänge zwischen so genannten Egoshootern und Amokläufen von Schülern? Die Debatte wird mit harten Bandagen geführt: Politiker fordern nicht selten populistisch harte Verbote und deutlich stringentere Jugendschutzkontrollen, während sich Spielefans häufig vollkommen missverstanden fühlen und der Welt klar machen müssen, sie seien doch eigentlich ganz normal.
Eine Studie, die Forscher der Harvard Medical School über mehrere Jahre durchgeführt haben, will nun mehr Ruhe in die Debatte bringen. Die Untersuchung, die Mitte April in Buchform ("Grand Theft Childhood", Verlag Simon & Schuster) erschien und vom US-Justizministerium mit insgesamt 1,5 Millionen Dollar unterstützt wurde, kommt zu einigen überraschenden Ergebnissen. Die Forscher Cheryl Olson und Lawrence Kutner schreiben darin, dass sich der Zusammenhang zwischen Gewaltdarstellungen und Verhaltensveränderungen wesentlich schwerer nachweisen lässt, als bislang angenommen.
Hinzu komme, dass das Spielen gewaltreicher Titel mit "Nur für Erwachsene"-Rating in Ländern wie den USA unter Teenagern inzwischen so weit verbreitet sei, das man es kaum mehr als anormal bezeichnen könne. "Eine moderate Dosis gewalttätiger Spiele schadet kaum. Es muss nur eine Balance geben", sagt Olson, Professorin und mit Kutner Co-Direktorin des "Center for Mental Health and Media" an der Hochschule. Außerdem sei die Nutzung von populären Videospielen inzwischen ein wichtiger sozialen Faktor im Leben von Jugendlichen. Die meisten Games würden in der Gruppe gespielt. "Nichtspielen wird somit sogar zu einem Symbol für fehlende soziale Kompetenzen", heißt es in der Studie. Doch genau das sei etwas, was Eltern nicht immer verstehen könnten.
Einen Freifahrtschein für "Grand Theft Auto" und Co geben Olson und Kutner der Jugend dann aber doch nicht. Es sei von höchster Wichtigkeit, dass sich Erziehungsberechtigte mit dem beschäftigten, was ihr Nachwuchs da tue - ähnlich wie auch beim Internet-Konsum. Werde das Spielen zu viel, müssten Eltern auch Stopp sagen können. Teilweise nutzten Kinder die Games auch, Aggressionen abzubauen und um weniger einsam zu sein, was problematisch werden könnte. Das Buch zur Studie, "Grand Theft Childhood", ist wie ein Erziehungsratgeber aufgebaut - und enthält durchaus auch konservative Formulierungen und Hinweise, etwa, die Konsolennutzung auch einmal zu verbieten. Insgesamt dürfte das Buch vor allem dazu beitragen, mehr Sachlichkeit in die Debatte zu bringen.
Bisherige Studien zum engen Zusammenhang zwischen Gewalt und Videospielen sehen Olson und Kutner unterdessen teils äußerst kritisch. Es gäbe viel "Müll" da draußen, sagte sie gegenüber dem Spielemagazin "GEE". Psychologen, die keine Ahnung von Videospielen hätten, setzten Menschen einer künstlichen Umgebung aus. "Meistens werden Extreme gegenübergestellt, beispielsweise ein Egoshooter und ein Adventure wie "Myst", bei dem gar nichts passiert." Aber auch Untersuchungen, die Spiele rein positiv bewerteten und dazu noch von der Spieleindustrie finanziert seien, empfiehlt Olson, mit Vorsicht zu genießen. Ihre eigene Studie umfasste Befragungen von insgesamt 1200 Eltern und Kindern.
"Eine so große Studie zu diesem Thema gab es noch nicht." Man habe sich explizit mit Menschen unterschiedlicher sozialer Spähren und ethnischer Herkunft auseinandergesetzt, sowie auch Mädchen genügend Zeit gewidmet. Problematisch sei auch, dass die Forschung sich von der heiklen Debatte nie ganz lösen könne. "Wir haben deshalb ein ganzes Kapitel in unserem Buch dem Thema gewidmet, warum Experten so unterschiedlicher Meinung sind", so Olson in einem Interview. Überraschende Ergebnisse zeigten sich auch bei der Nutzung der Spiele durch das weibliche Geschlecht. So sind Games der "Grand Theft Auto"-Serie bei Mädchen gleich hinter den "Sims" erstaunlich beliebt. Ob es mit der offenen und realistischen Darstellung der Welt zu tun hat, die die Spiele liefern, würde Olson in späteren Untersuchungen gerne herausfinden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Scholz zu Besuch bei Ford
Gas geben für den Wahlkampf