Videokunst über Sachsen: Eine Anleitung zum Zuhören
Der Dresdner Künstler Mario Pfeifer, der heute in Berlin und New York lebt, fragt mit einer Videoarbeit: Was ist los in Sachsen?
„Die CDU sollte sich weiter rechts orientieren. / Die AfD ist zutiefst unsozial. / Wir wissen doch, wohin dieses völkische Denken geführt hat. / Die wirklich teuren Flüchtlinge, sind Steuerflüchtlinge.“ – Im Sekundentakt werden neue Zitate auf den Fußboden der Galerie für Zeitgenössische Kunst in Leipzig projiziert. Kaum kommt man hinterher, sie zu lesen. Der Beamer im Nacken wirft den eigenen Schatten auf den Zitatenteppich und macht zu Beginn der Ausstellung „Explosion“ von Mario Pfeifer deutlich: Es geht ums Hier und Jetzt.
Welche politischen Aussagen dringen derzeit über welche Kanäle zu uns durch? In welchem Kontext werden sie veröffentlicht und: Wer entscheidet darüber? Über die Kopfhörer, die es am Eingang gegen ein Passdokument gibt – und dies ist keine kuratorische, sondern eine rein institutionelle Geste –, tönt ein Jingle in Dauerschleife, der an die Seriosität von Nachrichten tötende Hintergrundmusik erinnert.
Für seine erste umfassende Einzelausstellung ist der 1981 in Dresden geborene Pfeifer nach Sachsen zurückgekehrt, nach Leipzig, wo er sein Kunststudium bei Astrid Klein begonnen hatte. Es folgten Stationen in Berlin, Frankfurt am Main und Los Angeles, inzwischen lebt er in Berlin und New York. Sechs Videos aus den vergangenen sieben Jahren verdeutlichen nun sein Kerninteresse: Menschen, ihr Verhalten in verschiedenen Gesellschaften und die Frage: Was hält sie zusammen?
Zehn Wochen verbrachte er auf Feuerland, um dort lebende Yagan zu porträtieren. Der Film läuft auf drei Leinwänden und kombiniert Landschaftsaufnahmen mit Fotomaterial aus den 1920er Jahren, dazu kommen aktuelle Aufnahmen von der Fließbandarbeit in einer lokalen Meerestierefabrik, die einem Fischgeruch in die Nase treiben.
Pfeifers Arbeiten thematisieren Religion, Ideologie und immer wieder Arbeit. Drei spirituelle Führer und deren Praxis in Brasilien stehen neben einer jungen Inderin, die sich die Augen lasern lässt, um ihren Marktwert zu erhöhen – je makelloser, umso höher die Mitgift.
Die Grenziehung ist schwierig
Die Grenze zwischen Inszenierung und Dokumentation ist nur schwer zu ziehen, vieles kommt im Gewand eines Musikvideos daher. Für ein solches haben drei Rapper einen Text über die Lage in den USA verfasst, und Pfeifer drehte parallel in einer Waffenfabrik. Seine Filme sind inhaltlich komplex – dankbar blättert man durch das notizheftgroße Booklet, das nötiges Kontextwissen liefert.
„In welcher Art und Weise kann diese spezifische Arbeitsweise des Künstlers in der politischen Situation in Sachsen Anwendung finden?“, so fragt der Ausstellungsbegleiter auf Seite drei. Pfeifer hat in der New York Times zuerst von den Protesten in Dresden gelesen. Und nun, im September 2016, eine Arbeit „Über Angst und Bildung, Enttäuschung und Gerechtigkeit, Protest und Spaltung in Sachsen/Deutschland“ produziert.
Auf zwei Plasmabildschirmen sieht man nix als Köpfe. Talking Heads von Frauen und Männern: Viermal so groß wie in real sitzen sie einem gegenüber und reden. Über Pegida. Über den Osten und den Westen. Über Selbstausbeutung. Über Tarifverträge. Darüber, dass 50 Stunden Gemeinschaftskunde im Leben eines sächsischen Schülers zu wenig sind. Darüber, dass die Sächsische Zeitung bewusst mit dem Pressekodex bricht und die Nationalität von Straftätern nennt – auch um deutlich zu machen, dass diese nicht nur aus dem Ausland kommen.
Neun engagierte Bürger hat Pfeifer zu einem je 80-minütigen Gespräch gebeten und befragt: Wie sie sich heute an die Wende 1989 erinnern. Wie sich Bürger bilden können. Welche Rolle die Medien spielen.
Ohne Namen
Die Antworten sind ungeschnitten und erstaunlich präzise. Die Interviewten hoch konzentriert – so wie man selbst. Pfeifer ist weder Dokumentarfilmer noch Journalist noch politische Kommentarmaschine. Er ist Künstler, der rezeptionsästhetische Entscheidungen, wie die, den Namen der Interviewpartner nicht zu nennen oder nur seine eigenen Fragen herauszuschneiden, wohlüberlegt hat. Wer da spricht, soll zweitrangig sein – vielleicht erkennt man Autor und Psychoanalytiker Hans Joachim Maaz oder Ex-Pegida Mitorganisator René Jahn. Wichtiger als die Person und ihr Hintergrund ist das gesprochene Wort.
Die Ausstellung Explosion mit Videoarbeiten von Mario Pfeifer ist in der „Galerie für Zeitgenössische Kunst“ (GfZK) in Leipzig, Karl–Tauchnitz-Straße 9–11, noch bis zum 8. Januar 2017 zu sehen.
Öffnungszeiten: Di – Fr: 14–19 Uhr; Sa – So: 12–18 Uhr, Mittwochs freier Eintritt.
Und so sitzt man da und hört zu. Überlegt, auf welche Frage gerade geantwortet wird. Schaut auf Haare, Ohrringe und schlechte Zähne. Schaut manchmal weg, weil einem diese Köpfe einfach zu nahe kommen. Erschrickt über so manchen Argumentationsverlauf. Freut sich, dass sich die ein oder andere eigene Gehirnwindung in eine andere Richtung dreht, eigene Argumente stärker und schwächer werden. Man will widersprechen oder zurückspulen, um sich kluge Aussagen zu notieren. Über neun Stunden läuft die Arbeit – eine physische Herausforderung, noch dazu weil die Galerie maximal sechs Stunden täglich geöffnet hat. Auch deshalb wird Pfeifer das gesamte Material noch online stellen.
Am Ende des Videoparcours sieht sich der Besucher wieder mit der auf den Boden projizierten Zitatensammlung konfrontiert, die zu dieser Neuproduktion gehört. Ein wenig arg didaktisch kommt sie im Gegensatz zum Video daher, das es auch allein vermag, Gegenwart nebeneinanderzustellen und so zu appellieren: daran, mediale Vermittlung kritisch zu hinterfragen. Komplexität auszuhalten. Und vor allem: zuzuhören.
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