Victoria Bar: „Ein Freiraum der Nacht“
Die Victoria Bar ist ein Schmuckstück unter Berliner Bars. Jetzt feiert sie ihr 20. Jubiläum. Ein Gespräch mit der Barfrau Beate Hindermann.
taz: Frau Hindermann, Sie sind Mitinhaberin der Victoria Bar. Was macht eine gute Barfrau aus?
Beate Hindermann: Standfestigkeit, gute körperliche Konstitution und Widerstandsfähigkeit. Am wichtigsten ist aber das Einfühlungsvermögen in die Gäste, abgesehen von den fachlichen Qualitäten natürlich.
Beate Hindermannwurde 1965 in der Nähe von Köln geboren. Seit 35 Jahren arbeitet sie als Barfrau. Sie hat Geschichte und Publizistik studiert, sich beruflich aber für das Nachtleben entschieden, weil sie auch privat gern um die Häuser zieht. Ihr Buch, „Die Schule der Trunkenheit“ ist beim Verbrecher Verlag erschienen.
Sind Sie auch Mixerin?
Ich habe früher sehr viel gemixt, aber seit ein paar Jahren kümmere ich mehr um die Gäste. Das Mixen ist körperlich auch sehr anstrengend.
Wie das?
Du musst jede Flasche hochheben, das ist immer ein Liter, und das über acht Stunden hinweg. Man kann das durchaus von der sportlichen Seite sehen. Die Gäste am Tresen gucken dir fasziniert zu, wenn du technisch gut drauf bist und geschmeidig agierst. Wenn alle Gläser gleich gefüllt sind und die Drinks gleich schön aussehen. Aber Kommunikation ist dabei nicht möglich, weil du hochkonzentriert sein musst bei diesen ganzen komplizierten Rezepten. Wir haben eine sehr umfangreiche Karte mit an die 120 Drinks. Mich hat Mixen zum Schluss nicht mehr glücklich gemacht.
Am Samstag feiert die Victoria Bar ihr 20-jähriges Jubiläum. Was hat den Ausschlag gegeben, den Laden ausgerechnet in der Potsdamer Straße aufzumachen?
Wir hatten vorher die Greendoor Bar am Winterfeldtplatz. Nach sieben Jahren sind wir da raus und wollten etwas Neues machen. Ein Meisterstück in der Berliner Barlandschaft schwebte uns vor. Wir wollten aber unbedingt in Schöneberg bleiben. Ausschlaggebend für den Standort war, dass eine wirklich lange Theke in den Laden passt.
Die Theke ist 18 Meter lang. Was ist an der Victoria Bar noch besonders?
Wir sehen uns in der Tradition und Historie der American Bars. Die wohl berühmteste ist die Harry’s New York Bar in Paris. Eine ganz kleine Bar, die schon 1911 aufgemacht hat, hauptsächlich für die Expats, die rüberkamen aus Amerika. Auch Hemingway und Fitzgerald waren da. Es gab dort schon Mischgetränke. Für die Franzosen, die nur Wein und Pernod gewohnt waren, war das eine ganz neue Art des Trinkens. Diese Tradition und Historie versuchen wir in der Victoria Bar weiterzuleben und immer wieder neu zu erfinden.
Einen Besuch in der Victoria Bar kann sich allerdings nicht jeder leisten.
Es ist schon teuer, aber gemessen am Preisgefüge anderer Bars sind wir immer noch im Mittelfeld. Und wir sind eine der wenigen Bars, die immer noch Happy Hour machen. Ich habe Geschichte und Publizistik studiert und schon mehrere Vorträge über die Historie der Bars ausgearbeitet. Es ist unheimlich wichtig, dass die Leuten kapieren, in was für einer Tradition wir als Bar stehen. Dass es um mehr geht, als einfach nur Schnaps zusammenzukippen. Dass das eine richtige Kultur ist, die man bewahren und genießen sollte.
Würden das andere Bars nicht auch für sich in Anspruch nehmen?
Sicherlich. Es gibt Bars ganz speziell für Cocktailnerds. In hochkonzentrierter Atmosphäre, fast schon ein bisschen wie bei einem Gottesdienst werden da die Drinks gemixt. Bei uns ist es nicht wie bei einer Andacht. Bei uns herrscht Leben und trotzdem gibt es 1a Drinks. Wir können den Cocktailnerd bedienen, aber auch die ältere Dame, die mit ihrer Freundin vom Philharmonischen Konzert kommt und ihren Piña Colada so möchte wie vor 30 Jahren. Und selbst wenn es schon vier Uhr morgens ist, wir hetzen nicht. Man soll den Trinkern den letzten Drink nicht verweigern, wenn die Stimmung stimmt.
Woran machen Sie das fest?
Wenn die Gäste in ihrem Alkoholtraum oder Rausch – nenn es, wie du willst – lustig und kommunikativ sind, wenn vielleicht auch Verbrüderungen stattfinden oder auch Romantico. Das ist zwar eine Binsenweisheit: Aber die Dosis macht das Gift. Man kann sich dabei getrost in unsere vertrauensvollen Hände begeben. Wir fühlen uns ein bisschen als Trinkpädagogen.
Zu dem Thema haben Sie und Ihre Geschäftspartnerin Kerstin Ehmer auch ein Buch veröffentlicht, „Die Schule der Trunkenheit“.
Es geht darum, den Horizont der Bargäste zu erweitern: dass man sich beim Trinken auf eine Reise begeben und selbst bestimmen kann, wie tief man eintauchen möchte. Wir haben in der Victoria Bar dazu auch eine Vortragsreihe abgehalten, zu jedem Thema gab es den entsprechenden Drink.
Haben Sie ein Beispiel?
Was unterscheidet einen Scotch und einen Irish? Was darf in Wodka enthalten sein? Es gab auch einen historischen Abriss über die Entwicklung des Alkohols im Laufe der Jahrhunderte. Und natürlich auch Geschichten von den berühmten Trinkern. Unser Buch ist bereits in der dritten Auflage erschienen und wurde sogar schon auf Englisch und Tschechisch übersetzt.
Wie gehen Sie mit betrunkenen Gästen um, die Ärger machen?
Wir haben fast nie Konfrontationen oder Stress mit unseren Gästen. Da bin ich wirklich stolz drauf. Wenn es doch mal passiert, bin ich immer total schockiert, weil wir das überhaupt nicht gewohnt sind.
Wie erklären Sie sich das?
Bei uns gelten andere Regeln als anderswo. Unsere Bar ist ein Freiraum der Nacht, aber wir wollen auch ein Schutzraum sein. Es ist selbstverständlich, dass ein höflicher, respektvoller Umgang herrscht. Dass sich jede und jeder, egal welcher Herkunft, ungehindert in der Bar bewegen kann, ohne eine Anmache zu befürchten. Mein deutliches Gefühl ist: Unsere Gäste haben das verinnerlicht.
Sie kümmern sich um Gäste, die Gesprächsbedarf haben. Wie halten Sie das aus, von Betrunkenen zugelabert zu werden?
Ich bin sehr zugewandt und finde auch jedes Leben interessant und des Zuhörens wert. Das ist Teil meines Charakters. Ich krieg hier so viele interessante Menschen geliefert wie die Spinne im Netz. Und es gibt sehr viele heitere Momente. Aber natürlich lerne ich auch viele Menschen kennen, die mit Problemen kämpfen. Und es gibt natürlich auch Leute, die schwermütig in ihren Drink starren. Aber dass Barkeeper seelische Mülleimer für ihre Gäste sind, ist ein Klischee.
Trinken Sie manchmal mit?
Disziplin sollte eigentlich sein, dass der Barkeeper nicht trinkt. Wenn du mixt, kannst du auch gar nichts trinken. Aber wenn ich meinen Service mache, meine Gäste um mich herum habe und da wird Geburtstag gefeiert und Champagner ausgegeben, trinke ich gerne mit meinen Gästen. Es wäre komisch, das nicht zu tun.
Hat Ihre Arbeit überhaupt keine Schattenseiten?
Doch natürlich. Das ist ein echt anstrengender Beruf aufgrund des dauerhaften Nachtlebens. Aber ich bin schon immer ein Nachtmensch gewesen.
Was macht die Faszination der Nacht aus?
Das ist schwer zu erklären. Es ist schon ein besonderes Völkchen, das da unterwegs ist. Vielleicht ist es das.
Die Victoria Bar war von Anfang November bis Mitte Mai dieses Jahres im Lockdown. Was haben Sie in dieser Zeit gemacht?
Gelesen, vor allem Kunstbücher. Ich habe mich da richtig reingebissen. Auch für meine Gesundheit war es gut, mal innezuhalten. Ich hab mal ein paar Monate überhaupt keinen Alkohol getrunken, ganz ganz wenig geraucht und bin viel in der Natur gewesen.
Wird am Samstag eigentlich groß gefeiert?
Unsere Partys sind legendär. So mit DJs, toller Musik, es gibt auch immer eine Kunstausstellung. Normalerweise stehen die Leute bis weit auf die Straße. Aber jetzt trauen wir uns kaum, die Einladungskarten rauszugeben, aus Angst, dass wir nicht alle reinlassen können. Corona ist noch nicht vorbei. Die Regeln gelten ja weiter. Was die Zukunft betrifft, gibt es bei uns die Überlegung, auf 2G umzusteigen, ohne dass das staatlich angeordnet wird. Wir können nicht verstehen, dass Leute sich nicht impfen lassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?