Verzerrte Geschichte in Osteuropa: Auferstehung der braunen Ungeheuer
In Osteuropa setzt sich ein Geschichtsbild durch, das dem rechtsradikaler Kreise ähnelt. Die Massenverbrechen der Nazis und ihrer Verbündeten werden dabei ausgeblendet.
BERLIN taz | "Im 'Kessel von Budapest' wurde das Abendland vor den anrückenden roten Horden aus den Steppen Asiens mit einem immensen Blutzoll und in aussichtsloser Unterzahl heldenhaft verteidigt." Das steht in einem Aufruf deutscher "nationaler Gruppen", die ihre Anhänger einladen, an den seit einigen Jahren in der ungarischen Hauptstadt von rechtsextremen Vereinigungen organisierten Veranstaltungen anlässlich des "Tags der Ehre" teilzunehmen.
Dieser soll an den Kampf gegen die Sowjets erinnern, die Budapest im Februar 1945 einnahmen und der Herrschaft der mit Hitler verbündeten faschistischen Regierung ein Ende setzten. An der Verteidigung gegen die Rote Armee im Februar 1945 beteiligten sich nicht nur die von den ungarischen Faschisten, den sogenannten Pfeilkreuzlern, mobilisierten eigenen militärischen Verbände, sondern auch Einheiten der Waffen-SS.
Die als Verteidigungsschlacht Europas gegen "die vergewaltigende und entmenschte Soldateska Stalins" beschriebenen Kampfhandlungen werden heute nicht nur von Rechtsradikalen zur schicksalhaften Geburtsstunde des "aus gemeinsamem Blut gewachsenen Geistes freier Europäer" hochstilisiert. Die Rechtsradikalen aus zahlreichen Ländern, wie Serbien, Bulgarien, der Slowakei oder Deutschland, die sich alljährlich am 11. Februar in Budapest versammeln, um den "Tag der Ehre" gemeinsam zu begehen, verstehen sich als die Speerspitze dieses Geistes.
In vielen Ländern des ehemaligen Ostblocks setzt sich zunehmend ein eindimensionales Geschichtsbild durch, das in groben Zügen dem rechtsradikaler Kreise ähnelt. Im Fokus dieser verzerrten Geschichtsdarstellung steht in Osteuropa auch der heroische, antibolschewistische Kämpfer aus den Reihen der Weltanschauungsarmee des Dritten Reiches. Die Massenverbrechen gegen die Zivilbevölkerung in Jugoslawien oder in der Sowjetunion, die ethnischen Säuberungen und die systematische Verfolgung und Vernichtung der Juden werden dabei verharmlost und ausgeblendet.
Verzerrtes Geschichtsbild
Die Einreihung von Freiwilligen in die Waffen-SS aus dem Baltikum, aus Rumänien, Ungarn, der Slowakei, Serbien oder Kroatien wird als eine historische Notwendigkeit dargestellt und mutiert zur Urzelle des antikommunistischen Freiheitskampfes, dessen Endsieg noch bevorsteht.
Diese verzerrte Darstellung der jüngsten Geschichte ließe sich in Osteuropa auch als eine Reaktion auf die kommunistische Geschichtsschreibung interpretieren: In den Ländern der sowjetischen Einflusssphäre wurde der Zweite Weltkrieg als ein antifaschistischer Abwehrkrieg dargestellt, wobei selbst die Opfer der rassischen Nazirepression heruntergespielt oder, wenn überhaupt erwähnt, mit der ideologischen Aura kommunistischer Widerstandskämpfer ausgestattet wurden.
Das Nürnberger Tribunal hat SS und Waffen-SS zu verbrecherischen Organisationen erklärt. Das heißt natürlich nicht, dass jedes einzelne SS-Mitglied sich eines Verbrechens schuldig gemacht hat. Dass ein großer Teil der auslandsdeutschen wehrfähigen jungen Männer aus Rumänien, Serbien, Kroatien, der Slowakei oder Ungarn freiwillig in die Waffen-SS eingetreten sind, war das Ergebnis einer methodischen ideologischen Beeinflussungspolitik, die in der Weltanschauungsfabrik des Dritten Reiches ausgeheckt worden war.
"Volksdeutsche" in der Waffen-SS
Bevorzugte Zielobjekte dieser Politik waren die sogenannten Volksdeutschen, das heißt deutsche Minderheiten in verschiedenen europäischen Ländern. Im Rahmen der Gleichschaltungspolitik des Dritten Reichs gab es natürlich innerhalb dieser Gruppen vereinzelt Widerstand gegen die militärische und weltanschauliche Vereinnahmung. Aber gerade der Einsatz Volksdeutscher aus Serbien, Rumänien und Ungarn innerhalb der zur "Bandenbekämpfung" in Jugoslawien eingesetzten SS-Division "Prinz Eugen" ist bezeichnend für deren Bereitschaft, Befehle aus Überzeugung und mit äußerster Härte auszuführen.
Mit der gleichen Zuverlässigkeit kämpften auch die Angehörigen der Waffen-SS, die aus den unterschiedlichsten Nationen rekrutiert wurden: Ukrainer, Balten und sogar Russen. Zu ihren Aufgaben gehörten nicht nur militärische Kämpfe, sondern auch die Unterdrückung, Verfolgung und Vernichtung von Zivilisten, von Juden und Roma. Die Heroisierung der SS- und der Waffen-SS-Angehörigen zu Freiheitskämpfern ist somit nicht nur eine Beleidigung der Opfer - sondern auch ein gefährliche Geschichtsverdrehung, die einzig und allein der Auferstehung des braunen Ungeistes von anno dazumal dient.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku