Verwilderte Gärten auf der A100-Trasse: Idyll mit Müll

In Neukölln sind hunderte Kleingärten sich selbst überlassen, weil sie dem Autobahnausbau im Weg standen. Kommt die A 100, müssen weitere Pächter weichen. Mit Protest tun sie sich schwer.

Wenn die Autobahn kommt, ist für viele Laubenpieper Schluss mit Abhängen Bild: ap

Neben der Laube mit dem eingestürztem Dach raschelt es im Gebüsch. Eine junge Frau klettert heraus. Sie kommt zum Obstessen in die verlassenen Kleingärten. "Überall wachsen hier Äpfel, Pflaumen, sogar Weintrauben", sagt sie. Niemand genießt ihren Geschmack. Sie fallen einfach zu Boden und verschimmeln."

Die Menschen, die die Obstbäume gepflanzt und gepflegt haben, ernten hier keine Früchte mehr. Seit dem vergangenen November sind die Gärten verlassen, Unkraut überwuchert die Beete, an vielen Orten stapeln sich Müllberge. Die Splitter der eingeschlagenen Laubenfenster knirschen unter den Füßen. Früher hat man hier das Quaken der Frösche gehört, die in den Teichen der Kleingärtner lebten. Jetzt ist es still. In manchen der herrenlosen Teiche schwimmt Müll, andere sind ausgetrocknet.

Vor der Verwüstung von 12,5 Hektar grüner Stadtoase in Neukölln stand die Kündigung des Pachtverhältnisses mit dem Bezirksverband Berlin-Süden der Kleingärtner e. V. durch das Bezirksamt. Das war im Februar 2010. Als Konsequenz wurde 314 Kleingärtnern das Unterpachtverhältnis zum 30. November 2010 gekündigt. Der Grund: die geplante Verlängerung der Stadtautobahn A 100. Die Direktive kam von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Der 16. Bauabschnitt der neuen A 100 von Neukölln nach Treptow sollte quer durch die bisherigen Kleingartenkolonien verlaufen.

Einen Planfeststellungsbeschluss, der die exakte Streckenführung der Autobahntrasse festlegt, gab es zum Zeitpunkt der Kündigung noch nicht. Und ob das Teilstück wirklich gebaut wird, ist auch ein knappes Jahr nach der Räumung der Gärten nicht sicher. Aller Voraussicht nach wird das Thema im Mittelpunkt der kommenden Koalitionsverhandlungen stehen.

Seitdem die Kleingärtner ihre Schrebergärten verlassen mussten, hat die Grünfläche eine aktive Nachnutzung erfahren. "Bevor das Gelände abgesperrt wurde, gab es hier nicht nur Vandalismus", erzählt Tobias Trommer, der das Aktionsbündnis "A 100 stoppen!" koordiniert. Im Sommer hätten Guerilla-Gärtner Beete angelegt, Studenten einen Film gedreht. Viele Leute seien einfach gekommen um ihren Liegestuhle in die Sonne zu stellen. Das Netzwerk von Initiativen und Menschen hinter dem Aktionsbündnis setzt sich für nachhaltige Stadtentwicklung und gegen den Bau der Autobahn ein. Die Räumung der Kleingärten hat ihrem Engagement neuen Auftrieb gegeben.

Im vergangenen Mai wurden der kreativen Nachnutzung durch die Senatsverwaltung besonders enge Grenzen gesetzt: Ein Bandstacheldraht, wie er für militärische Zwecke Verwendung findet, schreckt nun die meisten ab, sich Zutritt zur grünen Oase zu verschaffen.

"Nach der Kündigung habe ich hier Leute mit Tränen in den Augen gesehen", sagt Trommer. "Die Gärten waren ihr Lebensmittelpunkt." Er fragt sich, warum es kaum öffentlichen Protest gegeben hat. "Das Gefühl, dass man nichts machen kann, ist offenbar bei manchen sehr fest verankert." Angesichts des knappen Angebots an Kleingärten hätten viele wohl auch befürchtet, bei Widerstand von ihrem Verein keine Ersatzparzelle angeboten zu bekommen.

Neuköllns Baustadtrat Thomas Blesing (SPD) verweist hingegen auf großzügige Abfindungen, die die Kleingärtner erhalten haben sollen. Auch gebe es in Neukölln keine lange Warteliste für Kleingärten. "Diejenigen, die gegangen sind, waren zufrieden, weil sie das Geld haben wollten. Hätten wir gesagt ,Ihr könnt bleiben', wäre bei denen eine Welt zusammengebrochen."

Nach Auskunft von Kleingärtnern vermittelte ihnen ihr Verein, es sei für sie günstiger, die Gärten abzugeben, bevor ein Planfeststellungsbeschluss vorliegt - andernfalls hätten sie sonst die Räumungskosten selbst zu übernehmen. "Das kann so nicht stimmen. Wenn Privatinteressen den Interessen der Allgemeinheit weichen müssen, sind es nicht die Privaten, die die Kosten dafür tragen", sagt Frank Steudel von der Bürgerinitiative Stadtring Süd (BISS), einer der Hauptakteure im Aktionsbündnis "A 100 stoppen!".

In den angrenzenden Gartenkolonien, wo die Pächter noch Teiche und Pflanzen pflegen, geht kurz vor der Wahl die Angst um, sie könnten das Schicksal ihrer ehemaligen Nachbarn erleiden. Wenn die SPD oder auch die CDU ihre Position in Koalitionsverhandlungen durchsetzen sollten, müssen weitere Kleingärten dem Autobahnbau weichen. "Wir wollen aber bleiben" sagt eine Kleingärtnerin. "Ich habe so viel Kraft hineingesteckt, um mir diese Idylle zu schaffen. Das war bei den Gärtnern, denen gekündigt wurde, genauso."

Sollte die A 100 am Ende nicht gebaut werden, mussten 314 Kleingärtner ihre Idylle umsonst verlassen. Das ins Planfeststellungsverfahren investierte Geld hätte man dann gleich in die Renaturierung der voreilig zerstörten Grünfläche stecken können.

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