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theaterVerwaltete Seelen in schaurig-schöner Anstalt

Es gibt Menschen, die sind einfach „nicht bereit, sich in der Gesellschaft wohl zu fühlen.“ Der das sagt, leitet eine psychiatrische Klinik und scheint sich sehr wohl zu fühlen: Während die Stationsschwester ihre Patienten per Medikament auf geistigen Leerlauf schaltet, spricht der Herr Direktor liebevoll mit seinen Pflanzen, träumt vom neuen Klinikanbau und spielt wie beim Ergotherapeuten mit kleinen Förmchen, in diesem Fall Architekturmodellen.

Das Stück „Seelensprung“ von Johann Camut, zur Zeit an der Kölner Studiobühne zu sehen, formuliert sein Thema im Untertitel: Alltag in der Psychiatrie. Seit Michel Foucault weiß die Welt: Das planmäßige Wegsperren von Menschen ist eine Erfindung des 17. Jahrhunderts. Mit dem Aufstieg des Bürgertums wuchs der Normalisierungsdruck, eine zunehmend funktional geprägte Arbeitsrealität stand Querdenkern, die sich dem Betriebsablauf der neuen Gesellschaft entzogen, hilflos gegenüber und machte sie unsichtbar, brachte sie in Anstalten unter, wo sie niemanden (ver)störten und in denen ihr Anderssein Krankheit genannt wurde.

Um das Verwalten und Verwahren von Menschen in der Psychiatrie geht es Autor und Regisseur Camut: Er zeigt fünf Patientinnen, die in der Gruppensitzung lustvoll ihren Therapeuten hinterfragen, die zügellos assoziieren und philosophieren, gedankliche Schemata brechen, Normen und Formen verweigern. Er zeigt kreative Menschen, die in sensiblen Monologen ihre Weltflucht verbalisieren, die ihr „vertrautes, falsches Selbst angenehmer als das unvertraute, wahre Selbst“ empfinden, die sagen: „Ich träume, also bin ich.“ Und er zeigt, wie Klinikalltag und permanente Medikation die Phantasie dieser Menschen abtöten, wie sie Verstellung und Gefühlsunterdrückung lernen, um wieder gesellschaftlich korrekt zu funktionieren.

„Seelensprung“ an der Studiobühne ist über weite Strecken ein Hörspiel, ein Zuhörspiel. Seine geist- und klangvolle Sprache macht Spaß, lädt zum genauen Hinhorchen ein. Für einen runden Theaterabend reicht das jedoch nicht. Dass auf der Bühne außer Textaufsagen nicht viel passiert, mag dramaturgisch stimmig sein, schließlich passiert in der Psychiatrie auch nicht viel. Für den Zuschauer bedeutet dies allerdings viele tote Punkte und teilweise entsetzliche Längen, trotz durchweg exzellenter Schauspielleistungen. Eine Bühnenerzählung aus der Anstalt: immobil und schaurig-schön.

Holger Möhlmann

„Seelensprung“: Studiobühne Köln, Universitätsstr. 16a, Tel. 470 45 13, nächste Vorstellungen: 7.-9.1., 20 Uhr

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