Der Popsong als Heilmittel: Nathan Amundson alias Rivulets in der Astra-Stube : Vertreibung der Dämonen
Einsame Männer mit akustischen Gitarren – in den 60ern waren das fast immer Protestsänger. Liedermacher also, die tief in die Verhältnisse eindrangen und so den politischen Befreiungsschlag übten. Demgegenüber etablierten sich später Songwriter, die mit ähnlichen musikalischen Mitteln eher persönliche Belange formulierten. Manch traurige Seele suchte ein paar wunderbare Platten lang nach Erlösung, um sich schließlich doch selbst zu früh aus dem Leben zu befördern. Die tragische Linie führt von Nick Drake bis hin zu Elliott Smith.
Nathan Amundson alias Rivulets gehört zu der Sorte Songwriter, der es nicht um Außenwirkung geht, sondern um den Kunst gewordenen Kampf mit sich selbst – bisher vermochte er es dadurch erfolgreich, seine Dämonen zu vertreiben: „Lieder zu schreiben ist meine Form der Therapie. Zuvor hatte ich Medikamente genommen, doch ich mochte dieses Gefühl nicht, wie ein Zombie durch den Tag zu gehen.“ Der Trübsinn kommt nicht von ungefähr, wie die Biografie des 29-Jährigen erahnen lässt: Sein Vater war Musiker und wurde regelmäßig zu Live-Sessions in das Hause Motown geladen, seine Mutter entwickelte sich dagegen zur religiösen Eiferin, die ihrem Sohn nach der Trennung und dem Umzug nach Alaska das Hören von weltlicher Musik untersagte. So verbrachte er seine Jugend in der eisigen Tundra und bestellte sich heimlich Platten aus England: The Smiths und The Cure zum Beispiel.
Seine eigenen Aufnahmen haben etwas Bedrückendes, insbesondere das zweite Album Debridement ist ein durch und durch unheimliches Werk. Man wird Zeuge tiefer Emotionen: „Als ich die Songs für dieses Album schrieb, ging ich davon aus, dass es mein letztes sein würde.“ Spätestens jetzt aber muss die Sprache auf die besondere Ambivalenz dieser Musik kommen, denn seine ruhigen, folkinspirierten Klänge dokumentieren kein Sudeln im Selbstmitleid, sondern eine Aufrichtigkeit, die durchaus etwas Tröstliches hat. All die düsteren Worte verlieren in der stillen Schönheit der reduzierten Musik ihren Schrecken. Amundsons sanftes Timbre braucht kein erdrückendes Pathos; es erzielt Eindringlichkeit durch erhabene Gesangsharmonien. In seiner fragilen Art gehört Rivulets zu den wenigen Live-Acts, bei denen das Publikum regelmäßig in fast meditative Aufmerksamkeit verfällt und den Ort des Geschehens beseelt verlässt.
So gesehen ist Nathan Amundson ein moderner Protestsänger, der das Zeug zum bildungspolitischen Rolemodel für junge Menschen hätte, die sich ebenfalls auf der dunklen Seite des Lebens wähnen. Er wäre einer von ihnen, der gänzlich mit sich selbst zu tun hat und trotzdem veranschaulicht, dass es produktive Formen des Umgangs mit traurigen Geschichten gibt. Vielleicht wäre es sogar angemessen, hier das alte Schlagwort vom Politischen anzubringen, das im Privaten zu suchen sei. Fest steht zumindest: Für das Rivulets Konzert in der Astra-Stube am Montag braucht niemand schwarze Klamotten anzuziehen. Sandra Ziegelmüller / Foto: Laurent Orseau
Montag, 22 Uhr, Astra-Stube, mit „Drekka“ (USA)