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Vertreibung aus dem bonbonbunten Kinder-Matriarchat

Am Thalia-Theater in Hamburg kreuzt Emre Akal Henrik Ibsens „Nora“ mit der Emanzipationsgeschichte der blonden Anziehpuppe Barbie, wie Hollywood sie jüngst in Szene setzte. Heraus kommt mit „Barrrbie ein Puppenheim“ ein unterhaltsamer Abend, der durchaus ernste Fragen stellt

Von Jens Fischer

Am Ende steht Ibsen-Klassik: die Emanzipation der Nora, einer dieser emblematischen Frauenfiguren, überholten Macht- und Beziehungsstrukturen ausgesetzt. Zu Beginn aber gibt Darstellerin Victoria Trauttmansdorff den Gegenentwurf: die auf Konsum und Körper fixierte Barbie, bekannt aus – und zuletzt oscarausgezeichnet – Holly­wood. Wie in Greta Gerwigs Film wird sie auch am Hamburger Thalia-Theater aus dem „Barbieverse“ in die reale Welt transferiert, hier eben in den Muff einer bürgerlichen Wohnküche.

Emre Akal inszeniert den Weg aus dem bonbonbunten Kinder-Matriarchat, in dem Jungs wie Ken nur von den Blicken der Barbies leben, ins edelgraue Erwachsenen-Patriarchat, in dem Frauen nur Haushälterin sind und das Accessoire des Geldverdieners. Ist das eine Entwicklung, oder sind es vielmehr These und Antithese, die nach einem dialektischen Fortschritt verlangen? Für solche Überlegungen reicht Ibsens Stücktext von 1879 nicht. Also skelettierte Akal die Vorlage und formulierte das Handlungsgerüst neu – in verspielt minimalistischem Comicblasen-Ping-Pong-Deutsch. Vorgetragen wird es in einem emotionslosen Duktus, als wäre das Ensemble selbst in Plastik gegossene Figuren.

Eine perfekte Oberflächenwelt

Lahra Roswags Bühnenbild zeigt die perfekten Oberflächen einer Oberflächenwelt, perfekt, um darin ein perfektes Leben zu führen. Auf weiße Projektionswände werfen dazu die digital malenden Cousins Mehmet und Kazim Akal, dieser wiederum ein Bruder des Regisseurs, ihre Bilder: eine pinkfarbene Barbie-Traumhauswelt, dreidimensional in den Raum hineinwirkend und kulissenartige Tableaus schaffend, zudem wie VR-Videos animiert und unterlegt mit technopoppiger Gruselfilmmusik.

Analog auf der Bühne stehen Barbie-Sitzmöbel, -Grill und -Kuschelhund. Zwei Kinder spielen mit Barbies und lernen dabei sprechen. Immerhin sind die Puppen ihrem Hersteller zufolge auch dafür gedacht, verantwortungsvolles Erwachsenenleben einzuüben. Und schon zeigt sich Barbie in einigen Berufen, für die dann Kostüme erworben werden können: Politikerin, Ärztin, Pilotin, Bauarbeiterin und Bankdirektorin. Dazu lässt Akal verlautbaren, Barbie sei „dem Luxus verfallen. Am Bargeld vergeilt“, aber auch „immer wunderschön“.

Nach und nach verwandelt sich die vermeintliche Idylle in die Albtraumwelt der Ibsen-Nora, zu der Victoria Trauttmansdorffs Barbie auch langsam de-/regeneriert. Sie behauptet aber weiter das „Mir geht’s blendend“-Lächeln und sucht ihr Klischee-Sein zu retten: „Hier geht’s allen immer gut! Hier gibt es nur Gut!“ Bei jedem Szenenwechsel wehrt sich die Inszenierung dagegen mit kleinen Fehlern: Zeitrafferbewegungen der Figuren zu weißem Rauschen – alle sind halt doch nur Puppen im kapitalistischen Spiel des Lebens. Und sie brauchen Störung, um Möglichkeiten zu entdecken. Oder überhaupt ein Bewusstsein zu entwickeln für ihr Funktionieren in verordneten Rollen.

Auch zwei von Ibsen erdachte Figuren treten auf, wollen aus der da noch devoten Heldin, wenn auch aus Eigennutz, eine Handelnde machen: Christy (Anna Blomeier) soll sie einen Job bei ihrem Bankiersgatten verschaffen – und dafür sorgen, dass die von ihm ausgesprochene Kündigung Krogstads, hier: Krogggy (Tilo Werner), zurückgenommen wird. Erpresserisch wird dabei erwähnt, andernfalls könnte eine einst von Nora zugunsten ihres Mannes gefälschte Unterschrift öffentlich gemacht werden, mithin ihre einzige selbstbestimmte Tat.

Verzweiflung und Lebensfreude

Trennung als Kammerspieltragödie, nur dass vor den Fenstern der Kosmos gähnt

Die beiden Hausgäste wirken wie Katalysatoren der Demaskierung des schönen Scheins. Während der einzig Fühlende auf der Bühne, der Nora liebende, aber todkranke Dr. Rank/Rannnky (Julian Greis) das Geschehen melancholisch ironisch kommentiert, was der Protagonistin ein bisschen Mut macht. Als sie immer noch als Barbie angesprochen wird, poltert es heraus: „Nora, ich heiße Nora. Hör endlich auf, mich Barrrbie zu nennen.“ Spürbar werden Verletzungen und Verzweiflung, aber auch die erwachende Lebensfreude.

Das Endspiel in der „vermeintlichen Realität (2025)“ inszeniert Akal nicht mehr puppenstereotyp, sondern psychorealistisch als finale Szene einer Ehe. Anstatt weiter Opfer von Vergangenheit und Lebenslügen zu sein, verlässt Nora ihr Zuhause in Richtung einer ungewissen Zukunft. Trennung als Kammerspieltragödie, nur dass vor den Fenstern nicht die Einfamilienhaussiedlung gähnt, sondern der Kosmos. Eröffnet er Nora neue Perspektiven? Oder erstickt alle Emanzipation im luftleeren Raum?

Viele lustige, einige ernste Fragen tritt dieser Abend los, unterhält dabei bestens, kommt optisch beeindruckend daher und darstellerisch überzeugend. Und Barbie rettet er als Nora für die weibliche Selbstbestimmung.

Barrrbie ein Puppenheim: wieder am 6., 7., 11. + 23. 11.; 21. + 28. 12, Hamburg, Thalia Gaußstraße

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