Verstaatlichung: Finanzsenator zeigt sich spendabel
Ulrich Nußbaum kann sich vorstellen, dass das Land die S-Bahn kauft. Zusammen mit der BVG, die bereits dem Land gehört, gäbe es dann ein Nahverkehrsangebot aus einer Hand.
Finanzsenator Ulrich Nußbaum kann sich vorstellen, dass das Land die S-Bahn kauft. "Man muss die Vor- und Nachteile unvoreingenommen prüfen", sagte er der Berliner Zeitung. Die seit Monaten skandalgeschüttelte S-Bahn, die ab diesem Montag erstmals wieder ihr gesamtes Streckennetz befährt, ist ein Tochterunternehmen der Deutschen Bahn AG, die wiederum dem Bund gehört. Die Berliner Verkehrsbetriebe mit ihren U-Bahnen, Bussen und Straßenbahnen gehören dagegen dem Land Berlin. "Es wäre für die Berliner sicherlich ein Vorteil, wenn man ein Nahverkehrsangebot aus einer Hand hätte", sagte Nußbaum. Ein "abgestimmtes Verkehrsangebot von BVG und S-Bahn brächte sicherlich auch Synergien und damit Einsparungen".
Einen Zeitpunkt oder einen Preis für den Kauf nannte Nußbaum nicht. Zudem wies er auf die Bedingungen hin: Die Bahn müsse "verkaufsbereit sein, und die Kriterien der Landeshaushaltsordnung müssten erfüllt sein". Darin ist unter anderem festgelegt, dass das Land sich nur dann an Privatunternehmen beteiligen soll, wenn "ein wichtiges Interesse Berlins vorliegt und sich der von Berlin angestrebte Zweck nicht besser und wirtschaftlicher auf andere Weise erreichen lässt". Nußbaum warnte in dem Interview "vor Vorstellungen, das Land könne dann neben der BVG auch noch die S-Bahn ständig bezuschussen".
Der SPD-Verkehrspolitiker Christian Gaebler hatte bereits im Juli einen landeseigenen Fahrzeugpool ins Gespräch gebracht. Bei diesem Modell würde das Land die Züge von der S-Bahn übernehmen oder sie neu einkaufen. Mit einer öffentlichen Ausschreibung würde dann nur noch nach einem Betreiber gesucht. Derzeit muss der Betreiber auch die Züge - die mit den S-Bahn-Systemen aller anderen deutschen Städte nicht kompatibel sind - selbst mitbringen.
Die Verkehrspolitikerin der Linken, Jutta Matuschek, lehnte diesen Vorschlag ab. Der Inhaber der Fahrzeuge sei auch für Wartung und Reparaturen zuständig. Das käme Berlin, wie die aktuelle Situation zeige, teuer zu stehen. Stattdessen schlug sie vor, dass die S-Bahn als eigenständiges, öffentliches Verkehrsunternehmen weitergeführt wird und nicht dem Renditedruck des Kapitalmarkts ausgesetzt ist. Denkbar sei, dass der Bund und das Land Berlin die S-Bahn übernähmen. Das ist die Richtung, die jetzt auch Nußbaum für möglich hält - aber mit dem Land als Alleineigentümer.
Für die Grünen-Verkehrspolitikerin Claudia Hämmerling ist der Kauf der S-Bahn "als letztes Mittel nicht verkehrt", falls es zuvor nicht gelingen sollte, über den Bund Einfluss auf die S-Bahn zu nehmen. In deren Management habe man es offenbar "nicht mit Leuten zu tun gehabt, die die Sicherheit der Fahrgäste ernst nehmen, sondern mit Casino-Spielern". So könne man "eine Gurkenfabrik leiten, aber nicht die S-Bahn".
Die S-Bahn fährt seit Monaten nur eingeschränkt. Erst legte das Eisenbahnbundesamt einen guten Teil des Verkehr lahm, nachdem es festgestellt hatte, dass die Räder zu selten kontrolliert wurden. Dazu kamen dann noch Probleme mit den Bremsen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste