Verschmutzung durch Nitrat und Fracking: Wasser unter Druck
In Niedersachsen wird nach Ergas gebohrt. Die Landwirtschaft bringt Nitrat ins Grundwasser. Trinkwasser könnte deshalb teurer werden.
Deswegen widmet sich dieser Schwerpunkt dem Thema. Und das heißt: Er schaut nach Niedersachsen. Denn auch wenn das Problem im Kreis Hildesheim eine bloße technische Panne und ein Einzelfall ist, die Lage in Niedersachsen ist grundsätzlich besonders mies: Während schon die Zahl der Tiefenbohrungen auf der Suche nach Erdöl oder Erdgas das Risiko von Schadstoffeinträgen ins Wasser erhöht – und diffuse Ängste nährt, schleichend vergiftet zu werden –, sieht man sich zudem als Agrarland Nummer eins.
Und ja: Alles deutet darauf hin, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen dieser Tatsache und damit, dass nahezu alle Oberflächengewässer, 98 Prozent, dort bereits in einem schlechten Zustand sind, und auch 60 Prozent der Grundwasserkörper zu hohe Konzentrationen von Stickstoff und Nitrat aufweisen.
Das Grundwasser ist die wichtigste Trinkwasserquelle, und in immerhin 24 der 60 niedersächsischen Landkreise ist von einer besonderen Belastung die Rede. Wenn das so weiter geht, das hatten sehr zum Zorn des Bauernverbandes die Wasserwirtschaft und Umweltbundesamt schon im Frühjahr prophezeit, kostet der Liter Wasser bald doppelt so viel wie bisher. Und längst hat die EU ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland in die Wege geleitet, weil die Nitrateinträge einfach nicht gesenkt werden.
Am Freitag hat der Bundesrat beschlossen, diese Belastung wenigstens ein bisschen zu kontrollieren. Es soll eine Stoffstrom-Bilanz geben, die von der Länderkammer nach monatelangem Hin und Her verabschiedet worden ist (in Ergänzung zur neuen Düngegesetzgebung). Der jüngste Kompromissvorschlag stamme allerdings direkt aus der Feder der Agrarlobby, vermuten die einen – das Protokoll dagegen sagt: aus der von Mecklenburg-Vorpommerns Landwirtschaftsminister Till Backhaus (SPD).
Inhaltlich läuft der Kompromiss darauf hinaus, dass erlaubt wird, bis zu 55 Prozent der ausgebrachten Stickstoffe als Schwund aus der Bilanz rauszuschreiben, weil sie eben nicht den Ackerfrüchten zugute kommen, sondern direkt in die Umwelt abgegeben werden: Das wirkt ungefähr so sinnvoll wie ein Vorschlag, die KFZ-Steuer für Autos zu mindern, deren Ölwanne leckt. „Damit haben unsere Landwirte endlich eine Planungssicherheit“, lobte der geschäftsführende Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) die Entscheidung der Länderkammer.
Doch nicht nur im Umweltausschuss des Bundesrates hatte es zuvor Widerstand gegen den Vorschlag gegeben. „Geradezu dreist“ hatte der eher CDU-nahe Kieler Landwirtschaftsprofessor Friedhelm Taube den Plan genannt, der allem zuwiderlaufe, was bisher als gute fachliche Praxis galt. „Wir sind schockiert“, sagt Susanne Bareiß-Gülzow, Vorsitzende des Vereins VSR-Gewässerschutz, denn dadurch würden die „wirtschaftlich orientierten Interessen der Agrarlobbyisten wieder höher als die Meinung der Wissenschaftler“ gewichtet. Und höher als das gesundheitliche und wirtschaftliche Interesse aller BürgerInnen.
Ist das Trinkwasser in Gefahr? Noch nicht so sehr, dass sie sich nicht abwenden ließe. Wenn kommende Woche der Bundesgesundheitsminister wie alle drei Jahre den Bericht über die Trinkwasserversorgung nach Brüssel schickt, wird darin weiterhin deren guter Zustand dokumentiert werden. Die Standards werden in nahezu 100 Prozent der Leitungswasserproben eingehalten.
Der Aufwand aber, sie zu erreichen, wird sich erhöhen. Aluminium-, Pestizid- und vor allem Stickstoff-Einträge müssen rausgefiltert werden. „Es besteht akuter Handlungsbedarf“, hatte der niedersächsische Umweltminister Stefan Wenzel noch im März gesagt und mit Agrarminister Christian Meyer (beide grün) versucht, die Schäden einzudämmen. Jetzt regiert die Große Koalition.
Mehr zum Thema „Druck auf das Trinkwasser“ lesen Sie in der gedruckten Ausgabe der taz.nord am wochenende oder am E-Kiosk.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Jugendliche in Deutschland
Rechtssein zum Dazugehören
Jens Bisky über historische Vergleiche
Wie Weimar ist die Gegenwart?
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
Mitarbeiter des Monats
Wenn’s gut werden muss
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche