: Verschärfte Isolationshaft
■ Die taz sprach mit Angelika Goder und Gabriele Rollnik, verurteilt als Mitglieder der ehemaligen Bewegung 2. Juni
ÜÜberraschend hat der Berliner Justizsenator Rehlinger der taz ein Interview mit Angelika Goder und Gabriele Rollnik in der Frauen-Justizvollzugsanstalt Plötzensee genehmigt. Beide Frauen sind als Mitglieder der ehemaligen Bewegung 2.Juni zu 15 Jahren Haft verurteilt. Rehlinger betont, er habe das Interview vor allem deswegen bewilligt, weil den Justizbehörden daran gelegen sei, zu erfahren, ob sich das Weltbild und die geistige Haltung der Gefangenen geändert habe. Diese Erlaubnis ist also nicht zu verstehen als Bereitschaft der Justiz, mehr Öffentlichkeit über die Situation der Gefangenen aus RAF und Widerstand herzustellen.
Als ich in der Frauen-Haftanstalt Plötzensee zum Interview eintreffe, ist der Staatsschutz bereits da. Nach zweimaliger Körperkontrolle und nachdem zehn grifflose Gefängnistüren vor mir aufgeschlossen und hinter mir wieder versperrt sind, stehe ich den zwei Gefangenen gegenüber. Durch einen Mauerdurchbruch können wir uns aus zwei kleinen Räumen heraus ansehen, getrennt durch zwei Tischplatten, in deren Mitte die Trennscheibe hochgefahren werden kann. Hinter den Gefangenen sitzen zwei Vollzugsbeamte, mir im Rücken nehmen zwei Staatsschutzbeamte Platz.
Hier, in den Hochsicherheitstrakten, den Gefängnissen in den Gefängnissen, praktiziert der Rechtsstaat die Zuspitzung der Isolation. Mit jeder Haftentlassung nach zumeist 15jähriger Isolationshaft werden die hermetisch abgesonderten Kleingruppen in den Trakten kleiner. Von den rund 45 Gefangenen aus RAF und Widerstand, die ihre Zusammenlegung in große Gruppen fordern, sind mittlerweile nur noch die sechs Gefangenen in den Hochsicherheitstrakten Lübeck und Celle in Kleinstgruppen zu jeweils drei Gefangenen zusammen.
Seit März diesen Jahres, als Monika Berberich nach 17 Jahren Isolationshaft aus dem West-Berliner Hochsicherheitstrakt Moabit in die Freiheit entlassen wurde, sind die zwei Gefangenen Angelika Goder und Gabriele Rollnik zu zweit isoliert. Noch bis 1984 waren sie in einer Gruppe zu fünft, danach bis zum Frühjahr 1988 zu dritt im Trakt. „Heute, mit der Isolation zu zweit, haben wir die schärfsten Bedingungen seit Beginn unserer Gefangenschaft“, bringt Gabriele Rollnik die drastische Entwicklung auf den Punkt.
Das aber verkaufen die Berliner Justizbehörden ganz und gar anders. Knapp fünf Monate nach der Haftentlassung Monika Berberichs wurden Angelika Goder und Gabriele Rollnik aus dem Hochsicherheitstrakt Moabit in einen gesonderten Trakt der neuen Frauen-Justizvollzugsanstalt Plötzensee verlegt. Seit dieser Verlegung in einen Trakt der bereits auf höchstem Sicherheitsstandard erbauten und aus Anlaß der Verlegung nochmals nachgrüsteten Haftanstalt Plötzensee rühmt sich die Justiz einer „Verbesserung der Haftbedingungen“. Und wie stets, wenn es um Propaganda gegen politische Gefangene geht, ist die Springerpresse vornedran. Unter dem Titel „Schöner wohnen in der Plötze“ konstruierte sie den Isolationstrakt Plötzensee zum prima Luxusappartement um.
Neben der 1A-Nirosta-Spüle, nach der sich laut Springer jede bundesdeutsche Hausfrau die Finger lecken würde, lesen sich die Haftbedingungen der zwei Frauen in Plötzensee allerdings so: strikte Absonderung im Sicherheitstrakt, zweimal eine Stunde Hofgang auf einem gesonderten Hof, nach jedem Hofgang Körperkontrolle, tägliche Zellenkontrollen, in regelmäßigen Abständen systematische Zellendurchsuchungen, stete Überwachung des Trakts durch Schließer aus einer Glaskabine im Traktflur heraus, zwei Stunden Besuch im Monat von Verwandten und Freunden unter Kontrolle zweier Staatsschutzbeamter und eines Schließers, Anwaltsbesuche mit Trennscheibe und Verständigung über Mikrofon, durchgängige Postkontrollen und Postzensur, spezielle Kontrolle der Anwaltspost, Bücher nur auf Antrag, Zeitungen, in denen zuweilen die Artikel fehlen, die der Staatschutz als brisant einstuft.
Die angekündigten Verbesserungen belaufen sich auf zwei Punkte. Vor allem eins ist im Trakt Plötzensee anders als in Moabit: es gibt natürliche Frischluftzufuhr. „Im Verhältnis zu den Gegebenheiten ihrer derzeitigen Unterbringung wird eine erhebliche Verbesserung dadurch eintreten, daß Flur und Aufenthaltsbereiche natürlich belichtet und belüftet und die Haftraumfenster uneingeschränkt geöffnet werden können“, pries der ehemalige Berliner Justizsenator Scholz. Ein bemerkenswertes Dokument aus der Feder eines Justizsenators
-steht da doch nichts anderes, als daß dieser Staat es fertig gebracht hat, die gefangenen Frauen ein knappes Jahrzehnt ohne natürliche Luftzufuhr isoliert in Moabit einzubunkern.
Als weitere Humanisierung der Isolationsfolter kündigte die Justiz den zwei Frauen mit der Verlegung nach Plötzensee stundenweise Besuchskontakte mit anderen Gefangenen an. Der Haken: Jeder Besuchskontakt muß von den zwei Gefangenen aus dem Trakt und auch von den anderen Gefangenen eigens beantragt werden, von Personen also, die sich noch nie zuvor gesehen haben. Über jeden Antrag entscheidet der Sicherheitsbeauftragte der Anstalt gesondert.
Abgelehnt wurde jedoch im gleichen Zuge mit diesen Ankündigungen eine Zusammenlegung mit den zu lebenslangen Haftstrafen verurteilten Gefangenen Irmgard Möller, Hanna Krabbe und Christine Kuby im Lübecker Hochsicherheitstrakt. Ebenso wie die zwei Gefangenen in Berlin waren auch die drei Frauen in Lübeck ehemals in einer Kleingruppe von fünf Gefangenen im Trakt. „Mit dem Antrag“, sagt Gabriele Rollnik, „haben wir nichts weiter bezweckt als die Wiederherstellung der alten Situation, eine Gruppe zu fünft. Wir dachten, daß das dem Staat doch eigentlich kein großes Problem sein müßte.“ Es ist. Die Justiz setzt auf Beibehaltung der verschärften Isolation zur Förderung des Gesinnungswandels. So begründet der Justizsenator seine Ablehnung des Antrags damit, „daß die Strafgefangenen Goder und Rollnik ebenso wie die Strafgefangenen Kuby, Krabbe und Möller weiterhin unverändert an den Zielen der RAF festhalten und sich ihr verbunden fühlen. Bei einer Zusammenlegung der erwähnten Strafgefangenen steht zu befürchten, daß sich diese rechtsfeindliche Einstellung noch mehr verfestigt.“
Es geht um die Köpfe, um den „Prozeß des Umdenkens“, wie es Justizsenator Rehlinger formuliert. Und da ist hierzulande auch ein Mittel recht, das im UNO-Menschenrechtsausschuß schon Mitte der siebziger Jahre als Folter in die Reihe der zerstörerischen Menschenrechtsverletzungen gestellt wurde die Isolationshaft. Realität in Stammheim, Lübeck, Celle, Köln-Ossendorf, Berlin-Plötzensee, seit fast zwei Jahrzehnten Realität in den mit deutscher Gründlichkeit errichteten Hochsicherheitstrakten.
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