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Versammlung der taz-GenossenschaftWir sind viele

Die taz vermeldet Gewinne, lässt für die Generalversammlung die AKW-Demo sausen und streitet über die Bezahlung der Korrespondenten im In- und Ausland.

Nicht alle Entscheidungen waren so einfach: taz-Genossen bei der Abstimmung. Bild: carlos antoniazzi

BERLIN taz | Hermann-Josef Tenhagen wäre am liebsten gar nicht hier. Gleich zur Begrüßung sagt er, dass er in diesem Moment gern woanders wäre, nämlich ein paar Straßen weiter, auf der Anti-Atom-Demonstration. Damit steht der Aufsichtsrat nicht allein. So mancher der anwesenden 300 Genossinnen und Genossen meint, man könne sich nicht im Haus der Heinrich-Böll-Stiftung zur Genossenschaftsversammlung treffen, während sich draußen der Widerstand gegen die Atomkraft formiere.

Dennoch wird der Antrag, die Versammlung zugunsten der Demo zu unterbrechen, abgelehnt. Ein Teil der Anwesenden verzichtet dann auf die Geschäftszahlen und macht sich zur Demo auf, um erst zur Diskussion zurückzukommen. Dabei sind die Zahlen alles andere als zum Weglaufen: Im Jahr 2009 hat die taz 300.000 Euro Gewinn erwirtschaftet, den ersten Gewinn seit 15 Jahren überhaupt. Außerdem kommt sie mittlerweile fast ohne Kredite aus, weshalb Aufsichtsrat Tenhagen der taz zu ihrem "erfolgreichsten Jahr in diesem Jahrtausend" gratuliert.

Richtig feierlich wird es, als das zehntausendste Mitglied der Genossenschaft vorgestellt wird: Fabian Overlach aus Freiburg zeichnete seinen Anteil mit den Worten "für 30 weitere Jahre Widerstand und Aufklärung". Der 39-jährige Sprachwissenschaftler konnte zwar nicht nach Berlin kommen, doch seine Botschaft wird verlesen und mit tosendem Applaus begrüßt. "Allein in der letzten Woche sind über 150 neue Mitglieder beigetreten", freut sich Konny Gellenbeck vom Genossenschaftsteam.

Dann geht es mit notwendigen Formalia weiter: Entlastung des Vorstands und des Aufsichtsrats, Berichte des Wirtschaftsprüfers, kleinere Änderungen, um die Satzung an die neue Zahl von über 10.000 GenossInnen anzupassen. Verschiedene Meinungen gibt es zur Frage, wie viele Anteile ein Mitglied der Genossenschaft maximal zeichnen sollte. Bisher waren 50 Anteile à 500 Euro möglich, die neue Satzung sieht 200 Anteile vor - also bis zu 100.000 Euro. Mit dem Verweis darauf, dass jedes Mitglied immer nur eine Stimme hat, wird die neue Satzung angenommen.

Schließlich werden Hermann-Josef Tenhagen und Johannes Rauschenberger als Mitglieder des Aufsichtsrats im Amt bestätig sowie Stefanie Urbach und Bernd Müllender als Ersatzmitglieder gewählt.

Wem die taz gehört

Die Genossenschaft: Die taz ist seit 1992 eine Genossenschaft. Sie hat derzeit 10.127 Mitglieder, die ein Kapital von mehr als 9 Millionen Euro halten. Voraussetzung für die Mitgliedschaft ist eine Einlage von mindestens 500 Euro.

Die Mitglieder: Von Beginn dieses Jahres bis jetzt traten 994 Mitglieder der Genossenschaft neu bei. Außerdem stockten 144 Genossinnen und Genossen ihre Anteile auf. Insgesamt wurden im Jahr 2010 bislang 824.000 Euro gezeichnet.

Der Aufsichtsrat: Besteht aus Hermann-Josef Tenhagen, Astrid Prange de Oliveira und Johannes Rauschenberger. Als Ersatzmitglieder neu gewählt wurden die Unternehmensberaterin Stefanie Urbach und der Journalist Bernd Müllender.

Genosse Nummer 10.000: Fabian Overlach aus Freiburg ist 39 Jahre alt, hat zwei Kinder und ist seit 1996 taz-Leser. "Für 30 weitere Jahre Widerstand und Aufklärung. Oder: Die taz ist mehr als die Summe ihrer GenossInnen", habe er die Einlage in die Genossenschaft gezeichnet, erklärte der promovierte Sprachwissenschaftler, der beruflich Gebrauchsanweisungen verfasst.

www.taz.de/genossenschaft

Erst danach kommt die Versammlung auf das umstrittenste Thema des Tages: die Bezahlung der taz-Auslandskorrespondenten. Einige von ihnen hatten sich im Laufe der Woche mit einem viertägigen Streik gegen die Finanzpläne der Chefredaktion gewehrt. In einem Antrag fordern sie die Genossenschaft dazu auf, sich gegen die Kürzung der Pauschalen und für eine Erhöhung des Auslandsetats auszusprechen.

Die angereisten vier Korrespondenten kritisieren, dass ihre Verträge gekündigt wurden, um ihnen dann zu schlechteren Bedingungen wieder vorgelegt zu werden. "Das erinnert mich an die Discountermethode," sagt Karim El-Gawhary aus Kairo. Ulrike Herrmann, Vorstandsmitglied und Wirtschaftsautorin, hält dagegen: Die taz müsse auf globale Veränderungen reagieren und das Geld an die jeweils richtigen Stellen verteilen. Und trotz des Gewinns sei Zurückhaltung geboten. Denn das Jahr 2009 sei wegen des 30-jährigen taz-Geburtstags ein finanzieller Sonderfall gewesen.

Ines Pohl und Reiner Metzger erklären die Sichtweise der Chefredaktion und die Schwierigkeiten, Gerechtigkeit für alle zu schaffen und dabei trotzdem die Strukturen zu erneuern. Einige der BerichterstatterInnen würden von den Änderungen auch direkt profitieren.

In der hitzigen, teilweise chaotischen Diskussion fallen Begriffe wie "Flexibilität", "neoliberaler Scheiß", "Solidarität" und "soziale Verantwortung". Ein Genosse ruft: "Nur wenn wir uns verändern, sind wir wir!" Viele GenossInnen betonen die Einzigartigkeit der taz-Auslandsberichterstattung, wollen sich aber "keinen Zahlenspielen hingeben". Letztlich entscheidet man mit knapper Mehrheit, über den Antrag der Korrespondenten nicht abzustimmen. Ein Alternativantrag, der die Einigung mithilfe eines Mediators bis April 2011 vorsieht, wird abgelehnt.

Ähnlich verläuft die Diskussion über einen Antrag der Inlandskorrespondenten. Darin wird gefordert, die taz solle ihre Korrespondenten in Zukunft nach den gesetzlichen Vergütungsregeln bezahlen. Seit Januar 2010 ist gesetzlich geregelt, wie hoch ein angemessenes Zeilengeld konkret sein sollte. Zurzeit zahlt die taz teilweise viel weniger. Auch hier entschied sich die Genossenschaft gegen die Abstimmung über den Antrag - es sei eine redaktionelle Aufgabe und nicht die der Genossenschaft, sich über gerechte Bezahlung und Verteilung des Etats zu streiten.

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1 Kommentar

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  • T
    Tim

    "erfolgreichsten Jahr in diesem Jahrtausend"

     

    Schon interessant, dass man "Erfolg" bei der taz neuerdings an den Bilanzen festmacht.

    Man *könnte* zu dem Schluss kommen, dass es da einen Zusammenhang mit der Korrespondentenvergütung gibt. gibt.