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Verletzter Polizist bei Nakba-DemoIm Zweifel für Demoverbote

Ein verletzter Polizist versetzt Presse und Politik in Aufregung. Doch die Darstellung der Polizei lässt sich durch Videos nicht bestätigen.

Eine von vielen Szenen der Konfrontation auf der Nakba-Demonstration Foto: Ebrahim Noroozi

Berlin taz | Der Fall eines schwer verletzten Polizisten bei der Nakba-Kundgebung am vergangenen Donnerstag schlägt weiter Wellen – auch in Berlins Landespolitik. Im Raum steht der Vorwurf, pro-palästinensische De­mons­tran­t:in­nen hätten den Beamten gezielt angegriffen, ihn womöglich gar umbringen wollen. Es wäre eine neue Stufe der Eskalation der Palästina-Proteste.

Die Springer-Zeitung Welt titelte über die „Attacke“ mit einem Zitat von Neuköllns Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD), diese sei „nur als Mordversuch zu deuten“. Fast schon zurückhaltender schrieb die B.Z.: „Juden-Hasser treten Polizist in Klinik“. Im Text wird Stephan Weh, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei Berlin zitiert: „Wenn ein Kollege in eine Menschenmenge gezogen und dort niedergetrampelt wird, mehrfach das Bewusstsein verliert, müssen wir von reinem Glück reden, dass er die Nacht überlebt hat.“

In der offiziellen Polizeimeldung hieß es: „Mehrere Gewalttäter in der Menge des Versammlungsgeschehens griffen gezielt einen Polizeibeamten an, brachten ihn zu Boden und traten massiv auf ihn ein.“

Doch zwei im Netz kursierende Videos lassen an dieser Darstellung Zweifel aufkommen. In einer ungeschnittenen Aufnahme eines Livestreams ist zunächst zu sehen, wie sich De­mons­tran­t:in­nen und Po­li­zis­ten der 24. Einsatzhundertschaft friedlich gegenüberstehen. Dann drücken sich Polizisten, darunter auch der später Verletzte mit der Dienstnummer BE24111, in die Menge, um eine Person herauszuziehen. Sie greifen einen Protestierenden mit rotem Schlauchschal, es kommt zum Gerangel. Die Umherstehenden haken sich ein, die Beamten schubsen und schlagen sie von sich weg.

Ein zweites Video zeigt, wie der betreffende Polizist, der zuvor beim Einprügeln auf De­mons­tran­t:in­nen gefilmt wurde, in der Menschenmenge auf dem Festgenommenen kniet. Im Getümmel wird ein anderer Demonstrant von einem zweiten Polizisten auf den Beamten gedrückt. Für einen kurzen Moment verschwindet der kniende Beamte aus dem Blickfeld der Kamera. Kurz darauf taucht er wieder auf, schlägt mehrfach mit der Faust auf den Kopf eines Demonstranten. Dann zerrt die Einheit den Festgenommenen aus der Menge. Im Anschluss lehnt sich der offensichtlich verletzte Beamte an ein Polizeigitter. Kol­le­gen nehmen ihn hinter die Absperrung, wo er zusammensackt.

Kein gezielter Angriff sichtbar

Die Szenen sind hektisch und nicht immer übersichtlich. Deutlich aber wird: Die Polizisten werden nicht in die Menge gezogen, sondern begeben sich selbst hinein – unter massiver Gewaltanwendung. Zu keinem Zeitpunkt ist zu sehen, wie De­mons­tran­t:in­nen einen Beamten gezielt zu Boden bringen und auf ihn eintreten.

Polizeisprecher Florian Nath sagte, er gehe „stark davon aus“, dass jene Videos die Situation zeigen, in der sich der Polizist die Verletzung zugezogen hat. Die Beweise würden derzeit noch gesammelt. Bisher basiere die noch vor Ort gestellte Strafanzeige „auf der Wahrnehmung der eingesetzten Kräfte“. Bei der Auswertung des Materials sei darauf zu achten, dass sich der Angriff auch „in Sekundenschnelle“ ereignet haben könnte.

Die Generalstaatsanwaltschaft teilte der taz mit, sie ermittle wegen eines besonders schweren Falls von Landfriedensbruch und gefährlicher Körperverletzung. Über den Zustand des 36-jährigen Gruppenführers einer Hundertschaft wollte die Polizei aus Gründen der Privatsphäre keine Angaben machen. Es heißt, der Beamte sei noch nicht dienstfähig, habe das Krankenhaus aber verlassen. Mehrere Medien berichten von einer Fraktur am Arm und Prellungen am Oberkörper.

Koalition will ans Versammlungsgesetz

Angesichts des Vorfalls und der Berichterstattung darüber hat sich unterdessen eine politische Debatte entzündet. Der als Hardliner bekannte CDU-Innenpolitiker Burkard Dregger kündigte eine Verschärfung des Berliner Versammlungsrechts an. Dem Tagesspiegel sagte er: „Wir werden dem Missbrauch des Demonstrationsrechts Einhalt gebieten.“ Auch der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Martin Matz, stellte die Frage, ob ein Verbot der Versammlung, die im Vorfeld per Auflage auf eine stationäre Kundgebung beschränkt wurde, möglich gewesen wäre.

Der taz sagte Matz, man müsse sich anschauen, ob die im Gesetz gefassten Formulierungen für Versammlungsverbote „ausreichend sind oder ob sich die Versammlungsbehörde nicht getraut hat“, die Nakba-Demo zu verbieten – aus Angst vor einer Niederlage vor dem Verwaltungsgericht. In diesem Fall müsste man das Gesetz überarbeiten. Laut Matz habe es bereits im Vorfeld Anzeichen dafür gegeben, dass es auf der Versammlung „zu Gewalt und verbotenen Parolen“ kommen würde, etwa durch die Bewerbung durch das internationale Netzwerk der israelfeindlichen und in Deutschland verbotenen Gruppe Samidoun.

Der Senat hatte eine Überarbeitung des Versammlungsfreiheitsgesetzes im Koalitionsvertrag vereinbart. Eine Evaluation des vor fünf Jahren noch unter Rot-Rot-Grün beschlossenen Gesetzes wird für die kommenden Tage erwartet.

Kritik kommt vom innenpolitischen Sprecher der Linksfraktion, Niklas Schrader. „Bevor die genauen Umstände nicht aufgeklärt sind, verbieten sich Forderungen nach mehr Demonstrationsverboten“, sagte er der taz. Schon heute mache es das Versammlungsgesetz möglich, Beschränkungen für Demonstrationen zu erlassen.„Wichtiger wäre es, dass die Polizei konsequent eine Deeskalationsstrategie fährt, wie es auch etwa beim 1. Mai gelungen ist“, so Schrader. Bei Palästina-Demos greife die Polizei jedoch oft sehr früh und sehr gewaltvoll ein: „Da muss man sich fragen lassen, ob das nicht auch zur Eskalation beiträgt.“

Die Or­ga­ni­sa­to­r:in­nen der Nakba-Demonstration klagen ebenfalls über Polizeigewalt. In einem Statement sprechen sie von einer „Falle“: Die Polizei habe den Protest bewusst eingekesselt, um die „Voraussetzungen für gewaltsame Unterdrückung“ zu schaffen. In mehreren Fällen hätten Po­li­zis­t:innen keine Identifikationsnummern getragen, De­mons­tran­t:in­nen seien noch im Gewahrsam geprügelt worden.

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2 Kommentare

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  • "Die Polizisten werden nicht in die Menge gezogen, sondern begeben sich selbst hinein – unter massiver Gewaltanwendung"

    Die alte Diskussion in diesem Land. Derartige Anlässe bestätigen natürlich wieder die Weltbilder, je nach ideologischer Ausrichtung wird dann von "Attacke" oder Polizei "Falle" berichtet und da wir hier in Deutschland sind, ist die Verbotsfrage auch nicht weit.

    Polizeigswalt gibt es sicherlich auch hierzulande, aber es gilt der Grundsatz, dass Gewaltmonopol liegt beim Staat.

    Und wenn wie in diesem Video die Polizei aus der Menge heraus eine Festnahme durchführt, dann liegt die Reaktion der Polizei auch am Verhalten der Menge.

    Der Autor scheint leider nicht einmal die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass die Menge der Polizei auch einfach hätte Platz machen können, damit diese ihre Arbeit erledigen kann. Davon ist leider im Video nichts zu sehen sondern nur von Beihilfe der Demonstranten, der sich in verschiedenen Formen des Widerstands gegen die Polizei artikuliert.

    Wer einer polizeilichen Anweisung nicht folge leistet, darf sich hinterher nicht über die Konsequenzen beschweren, sofern die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibt.

    • @Sam Spade:

      Geschätzter Mitflorist.



      Sie sind doch sonst so ein nachdenklicher differenzierter Kommentirer.



      Ausgangspunkt jeglicher polizeilicher Handlung “Eingreifens“ & gerade bei zeitlich gesteckten Lebebsabläufen in jeder Phase ist

      VERZ

      POLIZEILICHES PRÜFSCHEMA

      VERHÄLTNISSMÄSSIGKEIT



      ERFORDERLICHKEIT



      RECHTMÄSSIGKEIT



      ZWECKMÄSSIGKEIT

      Das sehe ich - die Videos kenn ich nicht - spätestens beim ”Eindringen in die Demonstrantenmenge offensichtlich zum Zwecke einer Festnahme“ mit Rücksicht auf das Gewicht des ausgeübten Grundrechts “Unterpfand unserer Demokratie“ (Karlsruhe Brockdorfbeschluß!) & dem geringen Gewicht einer möglichen Rechtsverletzung nicht als gewahrt an •

      Als zeitweilig im einschlägigen Rechtsgebiet zuständiger Richter - Ihr “hätte hätte“ ist unzulässige Sachverhaltsquetsche & rechtfertigt polizeilicherseits nichts.



      Der tatsächliche Ablauf war ersichtlich ein anderer!

      kurz - meiner Einschätzung nach hätte der Gruppenführer bei sich abzeichnenden Widerstand der Menge - einschließlich ganz banal nicht wegkönnen - gemäß -



      VERZ



      VERHÄLTNISSMÄSSIGKEIT



      ERFORDERLICHKEIT



      RECHTMÄSSIGKEIT



      ZWECKMÄSSIGKEIT

      Den Versuch wg fehlender Verhältnismäßigkeit abblasen müssen •